Osloer Euphorien
2. Teil
 
von Christina Morhardt

 

Maiskolben sind eine große Freude, ein himmlischer Genuss. Maiskolben und skandinavisches Holz. Feuer, Holz, Eis, Schnee, Maiskolben.

Die Berge und Wälder rund um Oslo sind im Winter dick verschneit. Bis etwa April oder Mai. A und ich gingen dort im Januar Skifahren. Er ist ein begeisterter Skifahrer. Ich hatte das letzte Mal als Zehnjährige auf Skiern gestanden und konnte mich nicht mal mehr an die einfachste Grundregel erinnern.
Man muss immer etwas nach vorne geneigt sein, egal ob man steht oder fährt. Es ist nicht wie auf Schlittschuhen. Durch ihre Länge besitzen Skier eine starke Eigendynamik, außerdem werden sie vor jeder Fahrt frisch gewachst. Sie geben eine Richtung vor und können einen sehr schnell in Tempo versetzen. Langlaufskier sind auch viel schmaler und länger als Abfahrtsskier, die Bindung sitzt vorne, nur die Schuhspitzen werden eingeklinkt, und so hat man wenig Kontrolle über den hinteren Teil der Bretter. Ohne die freien Fersen kann man natürlich gar keinen Langlauf  machen, aber so weit war ich noch gar nicht. Ich musste erst mal zum Stehen kommen.
Während der ersten halben Stunde saß oder lag ich meistens neben der Loipe im aufgehäuften Schnee. Ich kannte Langlauf bis dahin nur als etwas sehr Entspanntes, was auf einer ebenen Fläche verlief. A hatte mich aber auf eine Route geführt, die sehr hügelig war, auch teilweise sehr glatt, weil sie viel benutzt wurde. Ich konnte an den Abhängen überhaupt nicht bremsen und fuhr jedes Mal in den Wald.

Irgendwann ging mir das ziemlich auf die Nerven. Ich sah aus wie ein Idiot, alle Anderen konnten das sehen, auch wurde meine Skihose langsam nass und ich bekam Panik vor einer Blasenentzündung. Ich beschwerte mich und fragte A vorwurfsvoll, wie er auf den Gedanken gekommen wäre, dass diese Loipe geeignet für Anfänger sei? Er bot mir an, zurück zum Auto zu gehen. Das wollte ich natürlich nicht. Dann tat A etwas Wunderbares.
Als wir auf dem nächsten Hügel ankamen, der ziemlich steil nach unten ging, nahm er mich in die Mitte. Er hakte seine Arme unter meine Schultern und presste sein Becken leicht an meinen Hintern. Meine Skier standen in der Spur, seine setzte er parallel nach außen. Er konnte also weder in einer Spur fahren, noch seine Stöcke einsetzen, da mein ganzes Gewicht auf seinen Armen hing. Ich hing mich wirklich in seine Armbeugen hinein, ich hatte eine Scheißangst. Wir wurden bei der Abfahrt so schnell, dass ich laut schreien musste. Als wir unten zum Stehen kamen ging mein Schreien in hysterisches Lachen über. Die Leute, die uns beobachtet hatten, lachten auch, denn so, wie A mich hier gerade den Abhang heruntergeschafft hatte, fährt man als Erwachsener eigentlich nur mit kleinen Kindern. Das wusste ich in dem Moment aber nicht.
Wir überwanden zusammen den nächsten und übernächsten Hügel. Danach war ich locker. Plötzlich ging auch alles ganz leicht. Auf den ebenen Strecken beobachtete ich die Leute, die vor mir fuhren und verfolgte ihre Bewegungen. Es ist eine Art schwingender Rhythmus, in den man hineingerät, wenn man es richtig macht. 

A blieb die ganze Zeit hinter mir, und nach einer Weile hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass er mir Vorsprung geben musste. Ich bekam großes Lob von ihm und fuhr danach die Abhänge auch alleine hinunter.
          Ein paar Tage später traf ich B. A und ich wollten die kleine mobile Sauna ausprobieren, und dafür brauchten wir den alten Mercedes Kombi, der eine Anhängerkupplung besaß. Er stand bei B vor der Haustür. A und ich wollten an den Osloer Fjord auf die Halbinsel Bygdøy fahren und nach dem Aufheizen ins Meer springen. Draußen lag zu der Zeit etwa 30 Zentimeter hoch Schnee und es hatte 7 Grad unter 0. Das bewegte Meer am Fjord gefriert meistens nicht, auch wegen dem hohen Salzgehalt. Die Sauna war ursprünglich ein Wohnei gewesen. Ein kleiner Wohnwagen, den A vor Jahren auf einem Parkplatz entdeckt hatte. Damals war das Dach kaputt, und A fand den Besitzer heraus, der ihm das Ding einfach geschenkt hat. A reparierte das Dach und kleidete das Innere mit Holz aus. Zwei Sitzbänke und einen Holzofen mit Abzugsrohr brachte er hinein. Diese Sauna schenkte er dann seinem alten Freund C zum 40ten Geburtstag. Seitdem steht sie vor Cs Garage und wurde auch schon oft benutzt, Winter wie Sommer.
          Wenn man in Norwegen eine Wohnung oder ein Haus betritt, zieht man zuerst die Schuhe aus. Bs Haus war außerdem besonders; es stand auf dem Dach eines Supermarkts. Es war ein kleines, zweistöckiges Holzhaus, vermutlich aus den 50er oder 60er Jahren. B führte uns über die schmale Treppe in den ersten Stock, dort war er gerade am Renovieren. Die Wohnküche wollte er umbauen. 

 

Die Tür zum Schlafzimmer nebenan stand offen, wo seine Frau im Halbdunkel mit ihrem Baby im Arm im Bett lag und Hallo sagte.
B ging mit uns ins Erdgeschoss und zeigte mir seine Holzwerkstatt. Er und A arbeiten manchmal an verschiedenen Sachen, sie besitzen auch ein Boot zusammen. Dann traf ich Bs Mutter im zweiten Stock. Sie war gerade aus Neapel zu Besuch gekommen und wohnte in einem kleinen Dachzimmer, was stark nach Zigarettenrauch roch. Ein Geruch, den man hier in den Häusern sehr selten riecht. A erzählte von unserem Plan, mit der Sauna nach Bygdøy zu fahren und ins Meer zu springen, und sie warnte mich davor. Sie sagte, man könne leicht einen Herzinfarkt davon bekommen und sie würde sowas niemals tun.
          Wir nahmen dann den Mercedes mit und fuhren zu dem Haus von C. Das Haus war groß, mit Garten und Garage, es stand in einem der teuren Wohnviertel von Oslo. Es gehörte Cs Frau, die eine bekannte und viel beschäftigte Schriftstellerin in Norwegen ist, und die u.a. ein Buch über Anders Behring Breivik geschrieben hat.
Einer von uns heißt es.
C war zuhause, seine Frau und ihre beiden gemeinsamen Kinder nicht. Er ist Saxophonist, lebte gerade in Trennung von seiner Frau und spielte uns eine neue Komposition auf dem Klavier vor. Sein Bart lag ihm bis über den Bauch. Auf dem Fußboden lag überall Kinderspielzeug, und wir gingen nach draußen, um die Sauna anzukuppeln. 
Norwegen hat viel mit Schmerzen zu tun. Warnung vor Schmerzen und realen Schmerzen. 

Vielleicht ist das in Norwegen normal, denn nach der romantischen Erfahrung folgt Schmerz.
          Wir parkten im Dunkeln an einem kleinen Strand von Bygdøy. Ich machte Feuer in dem kleinen gusseisernen Ofen. Wir setzten uns gegenüber und warteten bis es warm wurde. Nach und nach zogen wir uns aus. Die Scheiben der beiden Fenster beschlugen. Wir hatten eine Flasche Wasser dabei, die wir ab und zu auf die Glut gossen. Irgendwann waren wir nackt und begannen zu schwitzen. Jetzt ging es darum, nach draußen ins Meer zu rennen. Ich wollte die Erste sein, anders hätte ich es nicht geschafft. Also öffnete ich die Tür, stieg vorsichtig die 2 Stufen hinunter und rannte durch den Schnee ins flache Meer hinein. Etwas hartes, kantiges kam mir vor die Füße. Ich stolperte und fiel kopfüber ins eiskalte Wasser. Als ich meinen Kopf wieder über Wasser hatte, ächzte ich ein schwaches “Help me!” und streckte meine Hand aus. A zog mich raus. Ohne ihn wäre ich vielleicht ertrunken oder erfroren, denn ich war wie gelähmt von der Kälte. Wir rannten durch den Schnee zurück in die Sauna. 
Als ich auf der Bank saß, sah ich an mir herunter. Am Bauch und an den Beinen hatte ich überall Schürfwunden. Sie waren nicht tief, bluteten aber, und es sah ziemlich fies aus. Als hätte mich ein sehr grobes Schmirgelpapier abgerieben. Es war ein länglicher Metallkasten gewesen, über den ich im Wasser gestolpert war. Er lag knapp unterhalb der Wasseroberfläche, und da es draußen stockdunkel war, hatte ich ihn nicht gesehen. Keine Ahnung, wie der dahin kam. A fand eine Flasche Wodka unter der Bank.

          Am nächsten Morgen wachte ich mit einer schmerzenden Blasenentzündung auf. Die Sauna und der Wodka hatten mich total dehydriert, was nie gut ist für eine empfindliche Blase. A und ich gingen am Vormittag in die Notaufnahme des Krankenhauses, genannt Legevakten. Lege sind die Kranken, so was wie liegende Menschen, und Vakten ist die Wache. Das stimmt nicht, ist aber eine gute Eselsbrücke. Lege heißt übersetzt Arzt.
Man kann nicht immer Höhepunkte haben, besonders in einer Erzählung nicht, aber da ich eine begeisterte Arztgängerin bin, war das so. Die Ärztin hatte ihren Spaß mit meiner Geschichte und ich bekam mein Antibiotikum.

Ich fühlte mich von A gleichzeitig gebeutelt und versorgt. Er hatte oft so krasse Einfälle wie Langlauf auf Hügelpisten oder Saunen am Fjord bei Minusgraden. Ich wurde von ihm in eine Art Wettkampf hineingezogen, so als wolle er testen, was ich so aushielt. Ich fand das alles sehr reizvoll und hatte richtig Lust drauf, obwohl es manchmal wehtat. Er konnte mich auffangen, ich fühlte mich sicher bei ihm.
          Die Landschaft um Oslo herum ist traumhaft schön, die Luft ist gut, und selbst der Fluss, der durch die Stadt läuft, ist so sauber, dass man darin schwimmen kann. A besaß ein Kajak, und da unser Haus mit der Rückseite direkt am Fluss stand, holte er es im Frühling aus dem Keller und fuhr damit bis zum Fjord hinunter. Im späten Winter, wenn der Schnee aus den Bergen um die Stadt herum abtaut, tritt der Akerselva immer stark über die Ufer. Ich dachte also an ein Leben mit viel Sport, einem fürsorglichen Mann, und daran, demnächst Mutter zu werden. 

 

Hätte mein bisheriges Leben die Farbe Schwarz gehabt, würde dieses hier im Vergleich schneeweiß sein.
          Ich bekam von A die Dinge, die ich hier wirklich brauchte, und das sogar sehr bald nach meiner Ankunft. Er kannte ziemlich viele Leute und ließ seine Beziehungen spielen. Wie durch Zufall fand er schon in der ersten Woche ein Mountainbike und brachte es mit nach Hause. Er sagte, es hätte drei Wochen vor dem Hintereingang seiner Bibliothek gestanden und sei nicht abgeschlossen gewesen. Es hatte 21 Gänge, einen Gepäckträger, und sogar der Rahmen passte mir gut. Ich musste nur einen Sattel und ein Schloss kaufen. Super.
Fünf Tage später hatte ich einen Arbeitsraum. In Oslo einen solchen Raum zu bekommen, für den Preis, den ich dafür bezahlte, war so super, dass ich es kaum glauben konnte. Es war nur zur Untermiete und erst mal nur für drei Monate, aber es war genau das, was ich brauchte. Der Raum befand sich in einem ehemaligen Parkhaus.
          Insgesamt waren es etwa 3000 qm Fläche, die sich Künstler, Musiker und Designer teilten. Nichts war fertig, alle waren noch am Bauen. Wände wurden gezogen, Türen eingebaut, Werkzeuge und Maschinen waren schon da, und die meisten Leute arbeiteten schon seit einer Weile hier. Mein Arbeitsraum war Teil einer Musikproduktionsfirma. Hier probten ab und zu Bands, komische Bands, eigentlich richtige Scheißbands, und die Techniker nahmen Sounds und Videos auf. Junge Frauen mit rosa Laptops und iPhones erledigten das Marketing in der provisorischen Küche. 

Als ich einzog hatten sie schon einige Räume gebaut, in denen standen Rechner und Instrumente. Jeder hatte eine schallgedämmte abschließbare Tür, auch meiner. Er hatte eine gute Größe und er war hell, mit einer breiten Fensterfront. Die Straße, an der das Parkhaus stand, verlief sehr steil nach oben, und da der Raum im vorderen Teil des Gebäudes lag, hatte ich freie Sicht. Die Fenster waren auf der Höhe des zweiten Stocks. Vor der Schlüsselübergabe räumten sie ihn noch aus. Eigentlich war es das Büro vom Chef, aber der war zur Zeit viel unterwegs und brauchte den Raum nicht. Deshalb, und weil die Miete erst mal für drei Monate begrenzt war, bekam ich ihn so günstig.
          Wir hatten die sauberste Toilette im Haus, obwohl sie noch nicht fertig war. Es gab einen Kühlschrank und eine Filterkaffeemaschine. Drei Räume weiter stand eine professionelle Espressomaschine. A hatte sie besorgt, und die Leute, die sie benutzten, waren gute Freunde vom ihm, also durfte ich dort wann immer ich wollte Kaffee holen. Es war eine Gruppe von Künstlern und Industriedesignern, die eine Holz- und eine Metallwerkstatt in den hinteren Teil des Parkhauses eingebaut hatten. Neben des Musikstudios war es noch unbewohnt, hier wurde nur selten gebaut. Es gab viel Holz und Dämmstoffe, aber fast nie Leute und auch wenig Bewegung. In dem Raum dahinter standen lauter Autos. Schöne Autos, die meisten waren Rennwagen aus den 50er und 60er Jahren, viele Alpha Romeos, einige ziemlich verbeult. Es gab eine Menge Werkzeug. Bierdosen und Whiskyflaschen standen auf den Kühlerhauben. Es war ziemlich staubig und roch nach Öl und Benzin. Meistens waren die Männer nur am Wochenende bei ihren Autos.

          A lieh mir einen Bürostuhl, eine Stehlampe und ein Tischbein Set zum Zusammenstecken. In der Holzwerkstatt fand ich eine Tischplatte. Ein Laptop besaß ich nicht, aber ich hatte meine elektrische Olivetti aus Berlin mitgebracht. Es war eine gute Entscheidung gewesen, sie mitzunehmen. A versprach mir zwar noch vor unserem Flug nach Oslo einen Mac, den er aus seiner Bibliothek leihen könnte, nur das dauerte länger. Irgendwann stand der dann auch auf meinem Schreibtisch.

Na ja, alles Gute kam ziemlich schnell, und es hätte auch ewig so weitergehen können, ging es aber natürlich nicht.

 

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