Fabian Ginsberg
Ich dachte eine Weile im Gehen an B. So war ich verschwunden. Jetzt sah ich um mich. Gestrüpp. Ich weiß nicht wie lang.
Immer auf und ab, nirgends Ausblick. Es ist ein dichter, niedriger Bewuchs entlang meines Pfads und der Pfad teilt sich, oft in drei oder vier Abzweigungen zugleich, die sich kaum unterscheiden. Ich nehme immer den, der am stärksten ansteigt. Dann fällt er nach der nächsten Biegung, teilt sich erneut, und ich wähle wieder, um nicht zu wählen, den am stärksten steigenden. Jetzt, da ich stehe und atme und zurückblicke, fällt mir auf, dass diese Methode kein Kriterium bietet, ihrem Modell Umkehrbarkeit zu verleihen. Für einen Rückweg fehlt die Verknüpfung zwischen dem dann möglicherweise, nicht einmal gewiss, jedenfalls aber sinnlos, am stärksten absteigenden Rückweg, und dem dann einzuschlagenden weiteren Rück- früher Hinweg, dessen Steigung aus nichts abgeleitet werden kann, da von vornherein als selbstverständlich missachtet, deshalb nicht formalisiert und nun kontingent.
Ich gehe in Gedanken zurück. Bis oberhalb des Friedhofs, ein Stück Bambuswald. Ich ging zunächst ohne Bewusstsein von etwas Bestimmtem, ganz in der Blödigkeit meinerselbst, wollte nur schnell mich entfernen, rauf in die Wälder.
In Bäumen und Büschen die Geister, kleine Zettelchen. Hier war der Pfad noch breit. Dann die künstliche Höhle, in die ich mich nach schnellem Entschluss duckte, ein Tunnel, ich folgte ihm, und kurz war es dunkel und eng. Dann kam nach einer kleinen Biegung wieder Sonnenlicht und ich sah meinen selben alten
Pfad da liegen. Ich war also zuvor am Eingang unbemerkt vorbeigegangen. Ich machte noch ein paar Schritte zur Bergnase hin, kein Zweifel, hier war ich schon. Ich wusste nicht, wie ich diesen Fehler wieder in Ordnung bringen konnte. Ginge ich weiter den alten Weg vorwärts zum Ausgang der Höhle, durch den ich einging, kreuzte ich meine Schritte und machte eine Schlaufe in die Welt. Was zwar kein Knoten, aber jedenfalls unschön ist. Oder kehrte ich um und ginge zurück durch die Höhle, so wärs ein unnötiger Fortsatz, eine Sackgasse und ein Blinddarm. Warum musste ich nur, wie mir scheint ganz entgegen meiner Natur, meinen Kopf in diese Höhle gesteckt und meinen Weg verlassen haben? Ich ging also, ohne mich umzudrehen, in meinen eigenen Füßen rückwärts zurück, durch die Höhle bis zu ihrem Aus- und meinem Ein- und nun uneigentlichen Ausgang und setzte dann meinen Weg fort.
Dann kamen die ersten Abzweigungen, die Zettelchen wurden weniger, und im Schatten stieg ich gegen den Berg an. Ich entschied mich von den gebotenen Alternativen immer die steilste zu nehmen. Oft ging es auch hinab. Es handelte sich um eine bewaldete Hügelkette. Indem ich mir jetzt vorstelle, wie ich da ging, sehe ich nicht vor mir, was ich sah, als ich ging, sondern ich sehe auf mich, wie ich da unten sehend ging, in der bereits zum Terrain vervollständigten Bewegung meines Körpers auf die ich mit Übersicht jetzt schaue. Wo ich mir unsicher bin, frage ich mich nach Merkmalen und rufe Bilder. Die Bilder frage ich nach ihrer zeitlichen Folge, und nach dem Sonnenstand, und nach der Haltung des Körpers aus der sie gesehen und aufgezeichnet wurden und die ich, um auf die Sprünge zu
helfen, in der Vorstellung nachahme, um den Fortgang zu rekonstruieren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die leiblich beschriebene Topographie angemessen reproduzieren kann um diese Passage des Waldes zu beherrschen. Jedenfalls bis zu dem Moment als ich den Waldarbeiter sah. Oder er mich. In der Kühle eines nicht sichtbaren Wasserlaufs schaut in leuchtender Montur er ein paar Meter über mir hinter einem Baum hervor. Er rührt sich nicht. Ich gehe zwar, aber mein Schauen steht fest in seinem Gesicht. Sein Gesicht ist glatt, wie bei einem erstaunten Tier, dessen Staunen ihm im Gesicht steht, wie die Abwesenheit seiner sofortigen Flucht.
Dann ist er weg. Ich gehe und frage mich nach seinem Gesicht. Es gibt mir kein Zeichen. Vereint in der Glätte des staunenden Augenblicks kann ich nicht trennen zwischen ihm und mir. Ich kann seinen Ausdruck nicht spiegeln, denn er ist reiner Spiegel. Ich könnte auch darin nichts etwa Geschriebenes lesen, denn ich verstehe nicht die hiesigen Zeichen. Meiner Frage ist rätselhaft worüber der Augenblick staunte.
Ich bin mir nicht mehr sicher, ob es überhaupt wirklich war.
Aber ich weiß die leuchtende Kleidung: Orange. Ein Waldarbeiter. Mit unbestreitbarem Farbsignal und mit einer Leere im Gesicht, mit einer Leere in unserem Gesicht, mit einer Leere statt unseres Gesichts. Daraufhin dachte ich an B.
Von da an muss ich verschwunden sein, die Körperweltkarte dieses Areals ist nicht mehr abrufbar. Das Notizbuch sagt: Kontakt mit Menschen versaut Weltherrschaft.
Ich finde nichts.
Kein Bild. Ich finde eines, aber es ist unverknüpft, es war: weiches trockenes Laub, daraus sich hartes helles Geblätter hob, in einer gewissen Haltung. Ich stand um dies zu fassen, denn es hatte einen verborgenen Bezug zu etwas in meinen Gedanken.
Ich vertraue darauf, dass trotz meiner Abwesenheit im Denken an B. unterwegs Bilder hergestellt worden sind, die im Falle einer Rekonstruktion per Rückweg in einigen Abständen verfügbar würden.
Trotzdem entscheide ich mich angesichts der Unklarheit über die Dauer der aufgetretenen Lücke und der offensichtlich unbrauchbaren bisherigen Methode, von jetzt an immer abwechselnd den linken und den rechten Weg einzuschlagen, niemals aber die Mitte. So stelle ich eine umkehrbare Verknüpfung her, vermeide einen Rundweg und verfüge bei der hohen Zahl von Verzweigungen in diesem Gebiet über eine bei normalem Kurzzeitgedächtnis leicht einzuhaltende Methodik. Auch mögliche Fehler wären in der Praxis des Rückzugs durch Abgleich mit zufälligen Erinnerungseindrücken korrigierbar, deren Bestand durch die dauernde sinnfreie Überproduktion von phänomenalen Daten, selbst während etwaiger Gedanken an B., als verlässlich eingestuft werden kann. Es wäre ein anpassungsfähiges System und also ziemlich stabil, dabei so leicht zu handhaben, dass ich mir eigentlich keine Gedanken machen muss.
Ich gehe links, ich denke, also: B.
Im Fortgang weiter Gebüsch.
B. hängt jetzt irgendwo über mir. Die Gedankenblase ist leer, die Gedankenblase ist voll und weiß, sie ist B.
Gebüsch.
Stimmen. Zwei bunte Frauen in Anorak und Rücksäcken tauchen hinter der Kuppe auf und stoßen, ihn nach rechts überquerend, auf meinen Weg. Wir begrüßen uns überschwänglich, so überrascht, wie ein endliches Wiedersehen und verabschieden uns gleich wieder. Ich stehe still und nehme das Notizbuch in meine Hand und warte, dass sie sich entfernen. Ist es die schwache Formalisierung der Vegetation als Natur, denke ich, die ein öffentliches Treffen hier so intim, so peinlich… Wobei mir auffällt, dass möglicherweise ich selbst für andere in meinem weißen Hemd technisch nicht gekennzeichnet, zum Beispiel als Arbeiter oder Wanderer, bin, dabei ganz offensichtlich aus der Zivilisation gefallen, die mich notiert. Somit für Andere hier einhergehe, wie ein schlampiger Eroberer in einem ignorant ihm einverleibten Eigentum, das, wie jeder sieht, ein Allgemeines, sogar Fremdes, ist, allen zustehend, die sich ausweisen, schonend an ihm teilzuhaben. Dessen Begegnung man, ob er mit böser Absicht oder aus Unbedachtheit seine Gedanken so hemmungslos im Walde überall verteilt, nur mittels besonders herzlicher Höflichkeit zu überwinden vermag.
Das Notizbuch sagt: Ausgang. Ausgang. Was war der Plan. Ich sage nichts. Ich hoffe, dass die beiden Wanderinnen nicht meinem System folgen und sich anders verzweigen. Für den Fall, dass jemand kommt, halte ich jetzt Notizbuch und Stift in der Hand, in der Hoffnung, dass diese Attribute mich legitimieren.
Ich folge weiter dem Weg, der Weg geht nach oben. Die Ritze des Himmels ist hell und steil, die Steine auf dem Weg haben kleine Schatten. Da ist mein Schatten an den Füßen. Das Gebüsch an der Seite voll mit Schatten.
Die Seiten des Notizbuchs sind hell.
Der Weg geht nach oben, ich packe mehr Steigung auf die Schenkel, aber es hilft nicht. Ich bin mir im Weg. Ich möchte die atmenden Schultern um mich schmeißen.
Ich weiß, dass Körpersein in Beschreibung dumme Poesie produziert. Aber es hilft nichts, das Hirn ist jetzt leer, es kommen keine neuen Gedanken, es ist leer. Es ist voll leer. Der Text ist meinem Körper ohnmächtig ausgeliefert. Es schwitzt.
Ich ignoriere das und gehe weiter.
Es geht.
Links.
Der Körper macht Körpersachen. Da bin ich dran, ich ignoriere das.
Der Rücken wird feucht, es atmet.
Ich sehe Sachen. Ich versuche das zu beschränken.
Es geht weiter.
Es bleibt dabei und es geht so.
Es geht nach rechts.
Der Wald geht weiter. Wir drehen uns still.
Eine Verkrampfung läuft übers Kreuz und schiebt in die Ohren. Es schraubt. Der Sinn stresst. Das Sehhirn schützt das Denkhirn vor dem Zuvielen durch radikale Rasterung, oder umgekehrt. Da läuft die Rotation herzu und greift weit oben in die
Wirbelsäule und dreht mich an den Schultern um: Der Streifen Himmel über mir ist hell. Keine Sonne, kein Hubschrauber. Blau. Das Geräusch brummt über die Hügel und lässt mich hinter seiner kreisenden Bewegung zurück. Ich höre das Terrain. Es meint nicht mich. Ich lausche.
Ich gebe die Orientierung auf. Ich weiß, irgendwo im Osten liegt das Meer, hinter der Bergkette, im Westen drumrum die Stadt. Es ist egal, ich komme irgendwo raus und dann weiter. Ich gehe ins Offene.
Philosophie des Bewusstseins
Die zeitgenössische Philosophie des Bewusstseins blüht. Das führt zu extremer Ausdifferenzierung ihrer gegenwärtigen Möglichkeiten, Verfeinerung der Mittel, Präzision. Gegen das in der Ausdifferenzierung enthaltene Moment eines Verharrens, dem unmerklichen Schwinden der Toleranz gegenüber grundsätzlich anders konzipierten, und darum weniger verknüpften Modellen, hilft die Irritation des jeweiligen, zunehmend in sich selbst kreisenden Systems durch die Abbildung seines Gegenstandsbereichs durch ein anderes System. Kurz: Selbstkontrolle durch Perspektivwechsel. Wenn aber das System über allem steht, alles kann und für alles zuständig ist? Wenn es sich nicht irritieren lässt, im Kreisen um sich selbst, hilft nichts, doch – das Vergessen. Dunkelheit.
Das phänomenale Erleben eines Subjekts, das Wie-es-ist eines x vom Typ T, vom Typ T zu sein, oder, die Subjektivität des am-Leben-Seins eines Individuums,
das sind philosophisch ungeklärte Probleme, die auf das Rätsel des Bewusstseins weisen und direkt mit den Vorstellungen von Selbstbewusstsein, Autonomie und Handlungskontrolle zu tun haben. Im Bewusstsein liegt immer noch die Kluft zwischen materieller und psychischer Welt, zwischen Leib und Seele, Stoff und Gedanke. Wie greifen die ineinander? Haben Gefühle etwa physikalische Wirkungen? Kann die physikalische Welt denken? Descartes sagte, nein. Andererseits hat er, der den modernen wissenschaftichen Innenraum des Zweifels erfand, im gleichen Zug auch Gott bewiesen.
Wozu Bewusstsein? Würde mein physiologischer Körper in der physikalischen Welt nicht genauso gut ohne subjektives Erleben funktionieren? Wo wäre dann ich? Ich kann mir mich nicht vorstellen ohne ein Wie-es-ist meines Erlebens meines Tuns.
Gibt es demnach Wie-es-ist-Tatsachen? Wenn es für das physiologische Geschehen eines erlebenden Systems einen Unterschied macht, ob es Erlebnisse hat, sind diese Erlebnisse (Farben, Geschmack, Lust, Ekel, Angst, Schmerz, Traurigkeit, Wünsche, Träume) dann objektiv beschreibbar, wenn die Wissenschaft entsprechend fortgeschritten ist? Ich müsste dann nicht mehr um Worte ringen, sondern könnte dem Freund die entsprechende Internationale Standard Kennziffer meines Zustands nennen und er würde sie mir bestätigen. Oder handelt es sich beim Wie-es-ist um private, nicht objektiv erfassbare Tatsachen? Tatsachen des Geistes in einer eigenen geistigen Welt. Es heißt dann, 1. Person-Tatsachen lassen sich nicht auf 3. Person-Tatsachen verallgemeinern. Aber ist das ein Problem, das im Zielphänomen, also Bewusstsein, liegt und etwas über es erhellt, oder ist es
ein Problem des Zugriffs, also meines Bewusstseins, auf das Zielphänomen Bewusstsein, das es also verdunkelt?
Weil das Problem des Bewusstseins so unübersichtlich, so dunkel ist, dass es schwer fällt überhaupt die Frage präzis zu formulieren, suchte man zunächst im Hellen fand Qualia. Qualia sind einfachste Bausteine subjektiven Erlebens, – privat, intrinsisch, nur dem erlebenden Subjekt und ihm unmittelbar und unzweifelhaft zugänglich, in sich einheitlich und irreduzibel, nicht übersetzbar, unaussprechlich: Wie soll ich dem Philosophen jene Röte beschreiben, die ich gestern sah? Wie jenen Schmerz, als der Hammer den Nagel verfehlte? Sein und Erscheinung fielen in eins, und sie lagen allein in meinem inneren Erlebnis des Schmerzes im Zeigefinger. Dieses Schmerz-Quale ist eine unteilbare Wie-es-ist-Tatsache. Dem Philosoph mag das Gleiche geschehen sein, wir werden aber niemals wissen, ob wir auch das Gleiche erlebt haben. Schließlich das Gefühl kalten Wassers auf dem geschwollenen Finger, einmalig!
Das Erlebnis solcher kleinster Einheiten des Erlebens ist nicht reduzierbar durch das Aufzeigen bestimmter neuronaler Zustände des Gehirns, denn gerade das „Wie“ erklären die physikalischen Daten nicht, sondern nur ein „dass“. Dass da was ist, wundert mich aber nicht, ich hab ja gesehen, dass ich mir auf den Finger gehauen habe. Wie es ist, und warum so und nicht vielmehr ganz anders, will ich, der in einer Welt der Erscheinungen und nicht der Formeln lebt, so gerne wissen.
Und davon weiß der Physikalismus/ Materialismus nichts. Das subjektive Innenleben eines Individuums ist seiner Erklärung prinzipiell entzogen. Das heißt,
das wissenschaftliche Weltbild der Aufklärung hat eine Lücke. Ausgerechnet im Geist.
Ein populäres Gedankenexperiment beschreibt das Dilemma so: Angenommen ein Blinder würde alle überhaupt möglichen wissenschaftlichen Daten über die Welt kennen, dennoch ist klar, dass ein Sehender mehr, nämlich anderes wüsste, als der blinde Wissenschaftler. Das heißt, das physikalistische Weltbild ist lückenhaft.
Mindestens zeigt sich an dieser Stelle, dass die allgemein geteilte Intuition des Menschenbildes und des menschlichen Erlebens und das allgemein geteilte, moderne wissenschaftliche Weltbild nicht zusammenpassen.
Irgendwas stimmt nicht. In den letzten Jahren scheint sich aber gezeigt zu haben, dass die Materialisten, Physikalisten, Reduktionisten und Funktionalisten die besseren Argumente entwickeln konnten. Sie haben auch das wissenschaftliche Weltbild auf ihrer Seite, in dessen Rahmen alle relevanten Argumentationen stattfinden müssen. Man könnte mit ihnen sagen, die Frage, was Feuer ist, sei auch nicht gelöst worden, aber sie gelte zu recht nicht mehr als sinnvoll. Aber was bedeutet es entsprechendes fürs Bewusstsein zu behaupten, also für das, was ich für mich bin? Ist nicht „Feuer“ etwas Vielgestaltes als ein Bewusstseinsinhalt, das ich gegenüber der abstrakten Erklärung, für das, was da im Ofen passiert, parallel akzeptieren kann, während mir jenes gleichzeitige Erlebnis in meinem Kopf unersetzlich scheint, da ich sonst jeden unmittelbaren Zugang zu meinem Erleben verlöre? Aber mit dem wissenschaftlichen Fortschritt würde sich diese Frage aufheben, auch scheinbar persönliche Empfindungen, wie Schmerz, Heiterkeit,
ein Lieblingsgeschmack, lassen sich dann objektiv registrieren. Der Gegensatz von Subjektivität und Objektivität hebt sich auf. Qualia gibt es nicht. Nenn´s dein Gefühl, im Zweifel schaue ich in deinen Kopf und sage, was wirklich los ist. Die Welt ist lückenlos. Wer sentimental ist und auf Erlebnisse steht, dem ist natürlich nach wie vor mit den Gütern der Kulturindustrie gedient. Nur werden keine Gedichte mehr geschrieben, sondern Virtual-Reality-Programme. Möglicherweise nimmt mit einem objektiven Klassifikationssystem der Gefühlsreichtum zu. Obendrein ließen sich gesellschaftlich erwünschte, von bürgerlich-subjektiven, verantwortungslosen und schädlichen Gefühlen sortieren.
Der Streit dauert, das Wissen wächst. Dazu wollte ich im Folgenden nur sagen, dass das alles nicht stimmt. Sowohl Befürworter wie Gegner der Existenz intrinsischer Eigenschaften, Reduktionisten wie Antireduktionisten, objektivierbare Materialisten und Träger inkommensurabler Inhalte bestellen gemeinsam das selbe konzeptuelle Feld, das erhaben ist über den Unterschied von Natur- und Geisteswissenschaft. Die Philosophie laboriert an der Metaebene. Sie ist Welt und Modell zugleich. Wer sich des Mediums Kultur in seiner Wissenschaft nicht bewusst ist, wird es auch im Gehirn nicht finden. Dort findet jeder nur, was er selber vorher hinein getan hat. Das ist das Gemeine. Wer Metaebenen benutzt als wären sie natürlich, und nicht ein spezifischer Schlüssel, der kann auch gleich wieder Gott benutzen.
Für die Benutzung von Metaebenen gibt es strenge Regeln. Einer, der eine Metaebene erfindet, gewinnt eine neue Dimension. Er steht außerhalb vom Vielgestaltigen und hat Überblick über es, als ein Allgemeines. Diese Position kann dem, was bisher das Viele war, einen neuen Zugang zu sich erschliessen, indem es erkennt, das es einen Horizont hatte, den es nun überschreitet. Oder es kann einer Clique Zugang zu einer Abgrenzung geben, die es ihr ermöglicht das, was bisher das Viele war, zusammenzutreiben, seine vielen Abgrenzungen aufzuheben, zu vereinheitlichen und allein über die neue Abgrenzung ausbeutend zu herrschen. So funktionierte Kultur schon vor Eric Schmidt, vermutlich seit der Steinzeit. Das Interessante ist, das diejenigen, die die Macht der neuen Metaebene eingeführt haben, ihr genau so schnell verfallen, wie die Beherrschten. Sie vergessen, dass der Standpunkt außerhalb des Vielen, von dem aus sie sortieren, auch ein Standpunkt ist, und so entschweben sie der Kritik, der Sortierung der Erkenntnis, und werden als Wächter Teil des Lagers/Labors. Großmächte können sich zu Lagern machen. Mittlere Mächte sollten ihre Bevölkerungen mit Schlüsseln bewaffnen. (Modell China gegen Modell Schweiz; Dtld. wie immer zu spät, findet Ziel nicht.)
Die beteiligten Personen
Die Erste-Person-Perspektive und die Dritte-Person-Perspektive sind die üblichen, von der Philosophie des Bewusstseins benutzten Metaphern. Die Erste Person, linguistisch und perspektivisch Ich, steht für die Möglichkeit der Introspektion,
aber auch die Subjektivität „aus der Innenperspektive heraus“. Das schafft die besondere Beschränktheit dieser Perspektive. Das populäre Gedankenexperiment mit der Fledermaus sagt: Ich kann nur von mir wissen, und von Wesen, die mir körperlich oder typmäßig ähnlich sind, während die, die mir zu unähnlich sind (Fledermaus, blind, taub, zu intelligent) unvorstellbar bleiben. Die Dritte-Person-Perspektive (Objektivität) verfehle nämlich gerade das Erleben, das allein an die erste Person gebunden ist. Die Argumentation dient dem Anti-Reduktionismus/-Materialismus, denn sie behauptet die prinzipielle Besonderheit des subjektiven Inneren gegenüber jedem Zugang durch die Allgemeinheit der dritten Person. Dieses Gedankenexperiment stammt aus den 70ern und ist noch in Gebrauch.
Solch ein Ich der ersten Person ist hirngeboren und allmächtig, es ist ein bürgerlicher Herr mit Frau und Kind und öffentlicher Verantwortung. Es weiß von nichts, logisch schon gar nicht, wo es her kommt. Jeder Psychologe weiß dagegen, dass ein Ich ein Objekt braucht, um sich zu konstituieren. Dieses Objekt, das Andere, schafft das Ich nicht in sich, sondern das Ich wird aus ihm geschaffen. Das erste Objekt ist nicht das eigene Gehirn, innen, sondern die Mutter, außen.
Schon recht, sagt der Gedankenexperimentator, das hat Theweleit auch schon mal gesagt, aber hier interessiert das Bewusstsein und da kann man die Mutter getrost, sagt er, übergehen. Das Ich entsteht, wenn es eine Abbildung seiner selbst in sich erschafft.
Also keine Mutter, nur Hirn. Wie entgeht dieses Ich-aus-sich dem infiniten Regress? Um eine Abbildung seiner selbst in sich zu schaffen, braucht es doch die Selbst-Welt-Grenze bereits, die angeblich aus der Selber-Ich-Schöpfung erst erfolgt. Ohne irgendeine vorgängige Differenz zu sich kein Ich. Das heißt, das Ich ist zunächst nicht Ich, sondern jemand anderes. Das bewusste Ich entsteht aus der Differenz zum Anderen. Es besteht in der Differenz zum Anderen und der Abbildung dieser Differenz als Modell. Das Ich ist ein Modell in Abgrenzung zu Anderen, die es ständig ist oder war. Ich bestehe aus allen und einem Modell meiner Abgrenzung von allem. Das eigenschaftlich ausgestattete Ich ist Beziehung und Abgrenzung von einer wachsenden Welt, als die es sich vorgefunden hat.
Ich allein ist sinnlos. Ich-aus-sich gibt’s nicht. Die Erste-Person-Perspektive funktioniert alleine überhaupt nicht. Es ist das selbstverständlichste, dass ich eine Fledermaus sein kann, es ist dagegen überhaupt nicht einzusehen, wie Ich Ich sein könnte.
Die Dritte-Person-Perspektive ist keine angemessene Metapher für Objektivität. Das Er ist ein Er von einem Ich aus, wie das Du immer vom Ich angesprochen ist. Sämtliche verfügbaren Perspektiven sind der Subjektivität angehörig, in dem Sinn, dass sie perspektivisch sind von einem linguistischen Ich aus, sie sind Bezüge und Abgrenzungen eines Selbst und gerade als Abgrenzungen noch sein Teil. Sämtliche Perspektiven sind die Welt-Subjektivität eines Ich, dessen Ich-Instanz nur die Absonderung von sich selbst als allen anderen ist. Das phänomenale Bewusstsein ist multiperspektivisch.
Was die dritte Person eigentlich meint, Objektivität, ist das Gegenteil von Perspektive. Statt Beschränktheit durch Standort, Abstraktion durch Methode. Die Methode ist gegenüber dem Standort prinzipiell jedem zugänglich. Die Beschränktheit durch Abstraktion macht überprüfbar. Das Ergebnis eines methodischen Vorgangs wird immer den methodischen Vorgang abbilden. Darin besteht die Überprüfbarkeit. Um den Vorgang zu überprüfen, kann er wiederholt werden. Um die Methode zu überprüfen braucht man eine weitere Methode, und eine Methode, die beide umfasst. Zum Beispiel empirische Tests: ein methodischer Vorgang wird methodisch an der Wirklichkeit überprüft. Wenn ein methodischer Vorgang, seine methodische Überprüfung und die Wirklichkeit identisch sind, hebt sich die Überprüfbarkeit auf. Dann gibt’s ein wissenschaftliches Weltbild, aber logisch keine Wissenschaft mehr. Die Aufhebung von Überprüfbarkeit ist logisch nicht eine Verifikation, sondern Folge der Verwechslung der eigenen Methode mit der wirklich Wirklichen Welt. Einheit und Kohärenz sind immer Zeichen von Beschränktheit, die, um überprüfbar zu sein, die Einheit und Kohärenz eines weiteren Modells benötigen. Die Identität der Wirklichkeit mit dem wissenschaftlichen Modell ist nicht die Erleuchtung der Welt, sondern ihre Verfinsterung. Wer nur 1 Modell hat, hat gar nichts.
Die Verfechter irreduzibler Subjektivität haben 1 Ich-Modell, das nicht funktioniert und die Verfechter absoluter Reduzibilität haben 1 Welt-Modell, das nicht funktioniert. Aber sie bilden ja auch gemeinsam das Feld der Philosophie und des
abendländischen Geistes mit all seinen Problemen und gemeinsam funktionieren sie wahnsinnig gut.
Wie alles wirklich ist
Perspektivität ist ICH-Vielheit und zugleich unüberschreitbar beschränkt von mir aus, von der Position meines Körpers. Das Ich ist nirgends, es ist keine Substanz, kein Kern, kein innerer Raum, sondern es ist Bezüglichkeit. Bezüglichkeit und Abgrenzung von und mit Phänomenen, mit dem Gedächtnis, also Modellen der jeweiligen Bezüge und Abgrenzungen. Ein Gewebe der Perspektiven, das dauernd Eigenes und Fremdes abgrenzen muss und abgegrenzt wird. Eine Grenze hat das Ich nicht, wo sollte die sein? Denn es ist Grenzziehung, die sich dauernd ändert, ein- und ausschliesst und über die es nicht souverän verfügt, sondern nur im Austausch mit den gleichzeitig sich konstituierenden Phänomenen. Auch der Körper ist das Objekt von Ein- und Ausschluss. Kein Ding ist selbstverständlich eigen. Alle Objekte sind “Grenzprojekte”(Donna Haraway), nicht vorgängige Substanzen, ihr Besitz ist Illusion, aber viel weniger noch lassen sie sich abschaffen. Die Perspektiven aber, Ich, Du, Er, Sie, Es, Wir, Ihr, Sie, sind sämtlich Perspektiven des Jemand Selbst, die ineinander verschränkt sind, ohne eine Einheit zu bilden. Sie bilden Verknüpfungen. Das normale Ich in der Welt tauscht dauernd (und wird getauscht) mit allen Perspektiven gleichzeitig und besitzt Modelle der Perspektiven und bestimmter Perspektivkombinationen, die es, als es selbst, ist und die seine Komplexität von Selbst- und Weltvielfalt herstellen.
Tausch heißt hier Intentionalität. Auch die ist rätselhaft in der Ideologie von Einheit, des Einen Subjekts und der Einen Welt. Intentionalität, im alten Sinne Brentanos, ist “die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Objekt (worunter hier nicht eine Realität zu verstehen ist), oder die immanente Gegenständlichkeit”. Ein Jemand hat ein Etwas im Sinn, ist intentional auf es gerichtet.
Einheit und Teilbarkeit in Einheiten und Dichotomien dienen methodisch dem Reduktionismus. Wenn man eine Einheit zugrunde legt, die Träger von Inhalten ist, kann man etwas zerlegen. Aber die Art, wie da etwas funktioniert, transportiert wird, übertragen und überschritten wird, und sich entfaltet, die ist dann ein Problem. Gesetzt, es gibt keine grundlegende Einheit, sondern immer schon Tausch in Zweiheit, Zwittrigkeit, dann werden Prozesse deutlich, die wachsen und nicht umkehrbar, nicht reduzibel sind. Projektion = Rezeption, Projektion auf Rezeption geworfen, Rezeption Projektion aufrufend, nur im Abgleich entsteht Differenz, entsteht Sinn. Eines setzt das andere immer schon voraus, keines ist vorgängig, keines für sich allein vorstellbar. Denn der Tausch von Verwandlung von Projektion = Rezeption verläuft in so vielschichtigen Ebenen des Tauschs von Modellen bis etwas einmal im Bewusstsein ankommt, dass es unmöglich ist, sie innerhalb des gegebenen Modell-Systems zu isolieren. Ursprung ohne Einheit ist der Tausch. Tausch nicht von Einheiten, sondern von Verwandlung. Die Zyklen der Intentionalität halten sich nicht an Grenzen von Organismen, sondern verbinden alles und ermöglichen so erst Begrenzung.
Und logisch ist ein einfacher Grundbaustein des Erlebens, ein Quale, unmöglich. Wenn ich mir eine Röte denke, oder einen Zahnschmerz, dann projiziere ich mir dies Gefühl, wie einen Begriff, im Modell meiner Vorstellung. Solche Gefühlsbegriffe gibt es selbstverständlich, sie sind nicht intrinsisch, sondern kulturell und konventionalisiert und sie helfen aus dem Erleben wahrnehmbare Gefühle herauszubilden. Es sind Methoden und Prozesse, nicht Bausteine oder Dinge. Wenn ich ein Erleben habe, kann ich einen erlernten Gefühlsbegriff darauf projizieren und sehen, ob er passt. Ich kann mich täuschen: ich projiziere, obwohl schon gar kein Schmerz mehr da ist. Ich habe vielleicht Halluzinationen. Dann tauscht sich Projektion und Rezeption mit einem Ich, obwohl das entsprechende Körper-Phänomen gar keine Rezeption mehr meldet. Aber der Schmerz ist da, ist wirklich. Hirnforscher sagen, es sind dabei genau die selben Areale aktiv, wie wenn ich “wirklich” das Erleben habe. Man hat nur die Methode. Es gibt nichts, es gibt nur das Geben. Wenn das nicht reicht, um zu erkennen was wirklich los ist, hilft nur noch eine weitere Methode. Irritation der Methoden.
Oder ich erlebe etwas und weiß nicht was? Ich weiß nicht, was mit mir los ist? Mir fehlt der Begriff, ist es Liebeskummer? Oder Heimweh, oder Krankheit? Oder Blähungen? Das muss man erst lernen, beim nächsten Mal erkennt man es besser. Ich müsste erkennen können auf welcher kategorialen Modellebene gerade ein Phänomen stattfindet und getauscht wird. Könnte ich das gar nicht, gäbe es keine Verbindung zwischen Modell und Phänomen (oder Schein und Sein), da wäre es sinnlos, denn die Verbindung ist zugleich die Grenzziehung. Gemeinsam
konstituieren sie sich als Unterscheidung. Thomas Metzinger, der sich mit Selbstmodellen auskennt, sagt, “frühere Verarbeitungsstufen im Gehirn (sind) für die Introspektion nicht attentional verfügbar. Die Mittel der Repräsentation können selbst nicht als solche repräsentiert werden.” Das kann sein. Sein Begriff von Repräsentation geht aber von der Träger/Inhalt-Vorstellung aus. Transparenz des Geistes als Träger ermöglicht dann die Schau seiner Inhalte. Mit den Begriffen von Tausch von Rezeption und Projektion kann jeder Träger ein Inhalt sein und jeder Inhalt ein Träger. Es gibt nur Tausch, der symmetrisch Objekte hervorbringt, die selbst wieder Tausch sind, aber vom ersten Tausch aus gesehen, perspektivisch, als Objekte erscheinen, denn ohne Universalisierung/ Verallgemeinerung, Verdinglichung stürzte das Denken dauernd in infiniten Regress. Das ist der Zweck von Perspektivität: einen Standpunkt und einen Horizont schaffen. Aber mit dem Wechsel der Perspektive wird, was eben als Ding herhielt, wieder neu verfügbar für Tausch und Verwandlung.
Für die Beteiligung eines bewussten Ich-Modells am Tausch der Modelle, weil dieses nicht Souverän über Intentionalität, sondern Verwaltung von Kontrollfunktionen ist, gibt es notwendig enge Komplexitätshorizonte, also perspektivische Beschränktheit und in diesem Sinne Transparenz. Die ist nötig um den Tausch der Selbst-Modelle mit den Phänomenen nicht zu behindern. Das Ich-Bewusstsein ist nur der winzige Ausschnitt des momentanen Bewusstseins der Bürokratie über einen Ablauf, nicht das Bewusstsein der Bürokratie über sich als Apparat oder gar ein Ding. Wer die Wirklichkeit mit seiner Bürokratie verwechselt, glaubt auch an Qualia. Selbst und Wirklichkeit treiben es hinter seinem Rücken.
Repräsentationen sind nicht Einheiten und haben kein Inneres, es sind Komplexe von Bezüglichkeit und Abgrenzung. Transparenzen opak zu machen, also Unsichtbares sichtbar, dürfte Übungssache sein, und eine Sache der richtigen Techniken und Begriffe. Dieses Erkennen, die projizierbare und rezipierbare Gefühlsvielfalt, ist kulturell und individuell unterschiedlich komplex entfaltet. Bei Philosophen des Geistes, die behaupten können, ein Erleben sei in sich unteilbar, gewiss und einheitlich, scheint es sehr unterkomplex entwickelt. Und das behaupten diejenigen, die sich allen Ernstes als “Qualia-Freaks” bezeichnen, um die subjektive Innerlichkeit zu retten. Fast Beweis genug, dass das Innen hohl ist.
Meine Sinne und Gedanken täuschen mich nicht über eine wirkliche, unzugängliche Welt auf der alle abendländische Technik beharrt, sondern sie sind die wirkliche Welt. Aber die Welt ist nicht eine meiner inneren Einheit zugrundeliegende, ausgedehnte Einheit, sondern besteht aus Zugang als Tausch. Sie ist Perspektivität. Sie hat keine Sämtlichkeit, sondern Flüchtigkeit. Je mehr Perspektiven ich tauschend kontrollieren kann, umso mehr Macht habe ich, umso mehr Welt bin ich. Die wissenschaftlichen Techniken sind kognitive Perspektiven. Sie widerlegen nicht, sondern bereichern die Perspektiven der Sinne.
Perspektiv-Technik
Die verschiedenen Techniken der Selbst- und Weltherstellung sind historisch unterschiedlich bewertet. Privilegiert ist die Ich-als-Er-Technik. Ihr Subjekt ist
zwar nur eine mögliche Variante der tatsächlich bestehenden Perspektiven des phänomenalen Erlebens, aber sie ist Substanz geworden, ihre Grenzziehung ist essenziell. Der Mensch, nach dessen innerem bewussten Erleben gesucht wird, das ist das 1 Subjekt. Fest steht: erstens, hat es Grenzen, zweitens, hat es 1 Innen und 1 Außen. Drittens ist es Träger von Inhalten. Viertens ist es in sich einheitlich und geschlossen. Fünftens ist die Welt um es herum einheitlich und geschlossen. Sechstens ist es souveräner Ursprung seiner Wirkungen. Und 7. logisch, kommt Gott. Dann geht die Woche von vorne los.
Dieses Subjekt ist als solches ein Ideologisches. Besser lässt es sich beschreiben als eine Technik, die Subjekt/Objekt-Technik, eine Verschränkung der 1.- und 3.-Person-Perspektive, die allein für sich genommen, gar nicht rätselhafterweise, nicht funktionieren können, zusammen aber schon. Ich als Er.
Ich, als Kontrolle von Bezüglichkeit und Begrenzung mitten in meiner phänomenalen Verstricktheit, beobachte etwas, das mich nicht beobachtet. Es ist er. Es ist er und nicht Du, weil es nicht weiß, dass es mit mir in einem Phänomen verbunden ist, sondern sich in seinem Phänomen mit etwas anderem beschäftigt. Dabei sehe ich ihm zu. Als wäre ich nicht da. Ich tausche über ihn hinweg mit seinem Tausch. Ich tausche mit seinem Phänomen, in dem er, aber nicht ich, er also statt mir verbunden ist. Ich muss also nicht extra da sein. Und in meinem Tausch mit seinem Phänomen, bin ich in einem Phänomen, über das er nicht verfügen kann. Er ist mein archimedischer Punkt. Ich überschreite in der Beobachtung mich und ihn auf etwas hin, das ich werde. Eine Beute
asymmetrischer Macht. Blickt er aber zurück, sind wir sofort in Symmetrie, im Tausch, im Kampf. Egal wer wen überwindet, beide verwandeln sich. Das ist gefährlich. Ich muss dich mir einverleiben, dass du mich nicht mit dir fort trägst. DU heißt immer Vermischung. Ich im Du, ich unterwerfe dich meiner Projektion, verfüge über dich, dennoch werde ich deformiert im Spiegel des DU, werde gedacht im Anderen, die wechselwirkende Erkenntnis tauscht beide. Du im Ich, ob Freund oder Feind, ich erkenne mich in Irritation durch dich und in dir.
Unkontrollierte Verwandlungen bei jeder Begegnung hält das Ich nicht dauernd aus. Werden die Du-Verhältnisse also institutionalisiert, gibt es Überschreitung nur noch in Krieg und Raub. Das führt ins Dilemma des Dreissigjährigen Kriegs. Das Geschäft beraubt sich seiner Grundlagen. In einem Winterlager sitzt Descartes im Warmen und erfindet zweifelnd die moderne Innenwelt. Im Dienst des Fortschritts muss die Überschreitung für Friedenszeiten ins Du-Verhältnis integriert werden. Ich mache das Du-Ich zum Er und setze eine von mir allein kontrollierte Grenze. Ich löse die symmetrische Verknüpfung. Der von mir begrenzte Andere kann nicht mich, ich kann aber ihn überschreiten und werde daran neu. Ich kontrolliere meine Verwandlung, die die Überschreitung des Anderen und in ihm meinerselbst ist. Da bleibe ich im Überschrittenen, der ich war, wie eine leere Hülle und werde neu, im Entwurf. Ich habe einen Innenraum gemacht, wo ich stand, und die Welt überschritten, wo der Andere war, ich bin beide als nicht ich und bin ihnen voraus.
Zwei Löcher, Innen und Außen, die mir unter Aufhebung meiner störenden Anwesenheit im Vermischten als Einzigem ermöglichen, die nun stabile Grenze zu übertreten. Siehe, das Subjekt, es ist nie da, also kann es überall hin.
Das subjektive Innen ist immer ein gerade Zurückgelassenes, in dem sich nichts findet als vielleicht pietistische Zerknirschtheit. Mit dem Gedächtnis ist es das Archiv der überschrittenen Beschränktheiten. Was ich bin, indem ich es nicht bin. Es ist von einem antiperspektivischen objektiven Modell nicht simulierbar.
Im Gegenteil ist das antiperspektivische objektive Modell der Welt eine abstrakte Ableitung der perspektivischen Begrenzung des Subjekt-Modells. Alles muss irgendwo begrenzt sein, um funktional zu sein. Ohne Diskriminierung keine Erkenntis. Die Physik verdankt ihre Leistungen der Ausgrenzung von Psychologie. Das heißt nicht, dass sie in der Welt tatsächlich unverbunden sind. Aber wo die Kohärenz der Erkenntnis, die aus Beschränktheit gewonnen wurde, in Überschreitung der selbst gesetzten Grenze für die Einheit der Welt genommen wird, da wird sich Wissen als Prozess transparent, also blind. Universalität ist Blindheit. Es gibt keine Einheit der Welt. Weder sind die Bereiche von Psychologie und Physik in Wirklichkeit geschieden, noch sind sie in Wirklichkeit eins. Beide Alternativen gehören einem Weltkonzept von Einheit und Teilheit, Innen und Außen.
Innerlichkeit als Garant der Ausbeutung vernichtet die wirkliche Welt. Die wirkliche Welt ist nicht als Opposition der Innerlichkeit das technisch dingliche Außen der Naturwissenschaft. Die wirkliche Welt liegt jenseits von Innen und Außen.
Untrennbar von der ausbeutenden Überschreitung ist die Unterwerfung. Im Angesicht des Vaters. Er als Ich, Ich als Er. Das schwingende Rad des Fortschritts liegt fest in den Naben von individueller Innerlichkeit und väterlicher Außenwelt, die je nach Zielvorgabe die Gesetze Gottes, der Objektivität, der Geschichte oder des Marktes symbolisiert. Das Innen ist hohl und zweifelhaft, der Wirklichkeit wie der Gnade unsicher. Die Macht des Vaters besteht in der Hohlheit des Stellvertreters. Er ist immer nur eine niedere Instanz des Gesetzes hinter der weitere und unerreichbare stehen, so dass jedes Aufbegehren ohnmächtig bleibt. Zwei Hohlräume, die die Achse eines Subjekt-Apparats stabilisieren, der die kontrollierte Zerschredderung der Welt in Objekte betreibt. Heute hat der eine Hohlraum, Gott, noch eine unsichtbare Hand. Und im Hohlraum des Individuums nagt nicht der Zweifel, sondern der Konsum. Egal, das Rad schwingt. Es rädert uns. Aber wir werden niemals aufhören. Müsste einfach nur jemand damit aufhören? Schließlich erkennt heute wirklich jeder, dass wir in die Zerstörung jagen. Aber es hat noch nie jemand aufgehört, es machen alle immer nur mit. Es gibt den Einzelnen nicht. Es ist ein Schwarm, ein Welt-Subjekt. Es müssten alle mitmachen auf einmal aufzuhören. Das ist erkennbar und denkbar, aber unmöglich. Es lässt sich nur ändern durch Erlangung einer neuen Dimension von der aus die bestehende, alles umfassende Konstruktion irritierbar würde.
Oder Löschung. Vergessen, Null. Neustart.
Wie es weitergeht.
Überschritten wird: Ich als Du. Die Welt, die ich mir untertan mache, hätte auch Ich sein können. Allerdings kann ich nicht dauernd Du sein. Im permanenten Verwandlungs-Chaos der Affizierung durch Du, und weil Ich nicht immer alle Du aufnehmen, aber auch nicht alle vernichten kann, geschüttelt von Ekel, Begehren und Vermischungsbedrohung, zieht sich das Ich in sich zurück, in seine reine Bezüglichkeit, und wird dort logisch irre. Stillstand durch Kontroll-Kontrolle, Lähmung statt Stabilität, aber wenigstens Ordnung.
Kontrollierte Distanzierung von Ich im Du und Du im Ich, also von Ich und von Du gleichermaßen, verspricht da Ich als Er. Die Perspektivtechniken von Ich/Du und von Ich/Er sind im Gegensatz zum isolierten metaphorischen Gebrauch von 1., 2., 3. Perspektive usf. als Kondition denkbar und kommen als Gestörtheit vermutlich ziemlich rein vor. Eine vernünftige Weltkomplexität gibt es in Gedanken/Gefühlen aber erst mit den vielfältigen intelligenten Erweiterungen von Ich im Du als Er, Ich als Er im Du, undsoweiter. Jeder Gedanke, jedes Gefühl, und seis ein einfaches Erleben von “Röte”, ist multiperspektivisch und geht durch vielfältige Wechselwirkungen von Tausch und Verwandlung, von Projektion und Rezeption, bis das Ich davon weiß, das heißt, sich davon sondert. Die sogenannte 3.Person ist eine von mehreren ganz normalen, sehr hilfreichen Perspektivtechniken. Eine Methode von Bezug und Begrenzung, also Selektion.
Ihre Substanzialisierung im Subjekt und im Objekt dagegen schaffen die unterworfene materielle Welt und den Geist, der nie da ist. Sie führt ziemlich offensichtlich zur Verarmung der Selbst-Perspektiven in der Privilegierung des Kontroll-Ich und zur Etablierung eines technischen Subjekt-Apparats, der die multiperspektivische Phänomenalität von Weltheit hinter einer atomisierbaren Dingwelt-Einheit zur Unkenntlichkeit verstellt.
Die hier kritisierte Bühne der Subjekt/Objekt-Technik wird gerade abgebaut. Das Netzwerk ist ein neues angemessenes Bild von Selbst-und Weltmodell ohne feste Innen/Außen-Unterscheidung.
Die leere alte Innenwelt des Zweifels, der Kritik und des Kontroll-Ich, und seine ideale Außenweltkonstruktion haben zusammen das technisch dingliche Welt-Subjekt geschaffen, hinter dem die von ihm unterworfene Wirklichkeit des Anderen und des Ich im Anderen immerzu verschwindet. Freilich sie verschwindet ja nicht, sie wird zugerichtet als Therapeut, Haustier, Ware.
Es scheint möglich, dass Innenwelt und Außenwelt von diesem Welt-Subjekt abfallen und in dieser totalen neuen Welt gibt es nur Oberflächen und Netzwerke, und das “Innen” und “Außen” darin sind Metaphern für Konsumtion und Produktion. Das wäre die schlechte Verwirklichung der Netzwerkwelt, denn hier fehlte die Freiheit, die vom alten Modell im unverfügbaren Innenraum auch konzipiert war und Ausbeutung würde bloß unsichtbar.
Der Unterschied ist, ob das Netzwerk vom Welt-Subjekt die Position der Einen und Sämtlichen Welt übernimmt. Das kann leicht geschehen, denn das technische Welt-Subjekt, das wir vorfinden, ist auf Einheitlichkeit programmiert. Entweder-Oder, Inhalt und Träger, Ursache und Wirkung, formieren stabile Grenzen für stabile, also einseitige Überschreitung. Also Ausbeutbarkeit. Solange es Dichotomien gibt ist die Welt heil.
Google hat gesagt, wovon wir nicht wollen, dass alle es wissen, das sollen wir einfach nicht tun. Dieser Imperativ klingt, als sei er nun mal das natürliche Gesetz des digitalen Fortschritts. Es gibt keine Innenwelt mehr, also ist nichts heimlich und alles offenbar. In dieser Offenbarung konkurrieren Staaten und Märkte, denn schützen will die alte Innenwelt niemand mehr. Muss man auch nicht. Gut zu wissen welche implizite Voraussetzung dieses Konzept vom alten Weltbild wahrt: Alles ist mit allem verknüpft, alles ist eine Einheit, also teilbar. Die Lüge der Macht. Die wirkliche Welt ist keine Einheit. Wir haben 1 Welt-Subjekt, das uns hindert die wirkliche Welt zu betreten.
Abgrenzung ist selbstverständlich und unumgänglich teil von Verknüpfung. Wer behauptet, es gebe keine Abgrenzung mehr, nur noch Bezug, der schleift die Grenzen anderer und hütet die eigenen. Der setzt sich zum Wächter über eine Grenze, die alles umschließt außer ihn. Wer sich das Recht, sich abzugrenzen, abnehmen lässt, von wem auch immer, der teilt auch keinen Bezug mehr, seine möglichen Verknüpfungen sind vorweggenommen, der willigt ein, künftig im Lager zu leben. Die Schleifung der Institutionen gilt seit Jahrzehnten als Freiheit. Die
Asymmetrie ist seit Jahrhunderten Gesetz. Kritik muss Freiheit behaupten, die nicht bedeutet, Grenzen und Diskriminierungen abzubauen, sondern sie der Entscheidung zuzuführen.
Ausbeutung ist in dieser Wirtschaftsordnung die Bedingung für Fortschritt als der Möglichkeit des Systems des Schneeballs. Putin weiß, dass die Erpressung des Staates durch das Schneeballsystem nicht durch Austerität, sondern nur durch Autorität beendet werden kann. Die hat ein Obama zwar nicht, dafür hat er fünf Augen. Das einzige was wir haben, ist Vielheit. Wenn wir jetzt noch ein Netzwerk wären, könnten wir versuchen Adorno zu widerlegen.
Kein richtiges Leben in der Einheit des Falschen. Aber in der Vielheit Grenze sein, und Netzwerk werden. Alle Welt wäre radikale Vielheit, nicht eins, also nicht teilbar. Sie wäre nicht objektiver, sondern konsensueller Schemata bedürftig. Sie wäre offen. Wer kann, soll ein Haus bauen mit vielen Schlüsseln.