Tipps
von Fabian Ginsberg
TEXTE ZUR KUNST März 2014 24. Jahrgang Heft 93 15,- €
Spekulation Speculation
Texte für Richard, Richard fragt Deluge? ich weiß noch nicht, so eine Art Leserbriefserie. Der sogenannte Inhalt ist bei einem Leserbrief, obwohl offensiv gewollt, total zweitrangig und nur interessant als Verweis auf die trotz Hölle äußerlich noch bestehende Welt, die sich in ihm abbildet als Richtmaß der Subjektivität dieses Einzelnen, um die es wirklich geht, nämlich: Vorurteil, Einbildung, Anmaßung.
Denn das Problem, worüber schreiben? – wenn, da ist keine Metaebene, also darf auch keine benutzt werden, wie geht das? – und, wenn nicht über mich? und worüber denn sonst? – formuliert sozusagen inhaltlich gerade so was: eine ewige Kette von Leserbriefen.
Ich hatte Richard versprochen, was beizutragen, und es war noch Zeit. Ich wusste zum Beispiel schon, was ich alles nicht machen wollte. Über Kunst schreiben. Dagegen Lesen finde ich gut. Wenn einer Texte schreibt über irgendwas normal Zugängliches und er
verstanden sein wollen – weil, nervt. Auch nicht: Alles richtig machen. Alles richtig machen wollen ist nicht Gewissenhaftigkeit, sondern schlechtes Gewissen und das erzeugt den Eindruck des Bedrängtwerdens ohne Großzügigkeit. Der Großzügige erlaubt sich Fehler, nicht weil er sich mal locker macht, sondern weil er weiß, dass er eine begrenzte Person ist und nicht das strenge Prinzip, das er lediglich haben kann und das sich selbst aufzuerlegen richtig ist, in dessen Gestalt perfektionistisch mit anderen zu kommunizieren aber seine personale Sichtbarkeit und Bezogenheit in der Gegenwart des Anderen leugnet, also offenkundig Lüge ist, die den Andern entweder personal suspendiert oder zum Mitlügen fordert und also ein falscher Fehler und Manipulation ist. Erlaubte Fehler sind Fehler, über die der Andere selbständig hinwegsehen kann, eben weil er im freien Verhältnis zu dieser begrenzten, also fehlerhaften Person und Nicht-Monade steht und das weiß, und nicht in einem abhängigen zu deren souveränem Prinzip. Er kann ja gehen. Das Maß der Fehler, die zwischen Personen ununangenehm möglich und erlaubt sind, ist das Maß ihrer Verbindlichkeit, also Freiheit. Oder anders: Ohne das was fehlt, kann nicht projiziert werden.
Und ohne Projektion keine Rezeption.
Das Beschriebene geht also davon aus, dass Texte irgendwie
nichts. Dann noch paar andere Sachen. Dann meinte jemand, man müsse das jetzt schon erst mal noch lesen oder überprüfen und jemand sagte, Wodka ist alle, und einer, die Mädels langweilen sich. Nein. Das natürlich nicht.
Dann ist das Heft mit der Blase da gewesen und gelesen worden. Über den angeblichen Spekulativen Realismus und manches mehr.
Der Spekulative Realismus scheint dem Namen nach eine Epistemologie zu sein, die Ontologie sein will, um die Anstrengungen und Zumutungen von Epistemologie zu überschreiten. Oder eine Ontologie, die sich vor der Anmaßung selber absichernd als epistemologisch denunziert. So wäre der Ort des von ihm Angestrebten das eigene Plädoyer. Ich will da rein! Pseudoerklärungen wie: Darf ich mal vor, weil ich muss was kopieren! (in der Schlange vorm Kopierer) sollen ja wohl auch nachgewiesen effizienter sein als die bloße Bitte, ob man mal vor dürfe. Was fehlt ist die Methodik, auf die es ja so oder so gerade ankäme: – Realismus, wie? wo? – naja spekulativ, – spekulieren, nach welcher Regel? – naja, realistisch halt. Die Lücke will die Brücke, aber die Philosophen mögen die Lücke als Negation von Brücken.
Mag sein, dass das eine Karikatur ist, aber es ist ja auch nicht jede Komplexitätsreduktion eine Erkenntnis. Mit mutmaßlich
Ironisch gesehen ist es die Verwirklichung der Welt als Zeichensystem. Die Historizität der Semiotik ist auch eher statisch und muss die Frage, woher kommt das Neue an den Rand drängen und ausschließen. Barthes, über die Gefahr des semiotisch Ideologie benennenden und entmystifizierenden “Mythologen: er läuft unaufhörlich Gefahr, das Wirkliche, das zu beschützen er beansprucht, zum Verschwinden zu bringen.” (Mythen des Alltags, vorletzte Seite.)
Angesichts dieser nach wie vor ungeklärten Frage: woher das Neue und wie kommt man zur Wirklichkeit? könnte die Arbeit der Algorithmen an der Ausschließung des Unwahrscheinlichen monopolistisch in großem Maßstab durchgeführt die beabsichtigte Effizienzsteigerung und Risikominimierung einfach ins Gegenteil verkehren: Entropie, Rauschen.
Das setzt aber voraus, dass die Politik algorithmischer Spekulation weiter überwachend und abschöpfend, also passiv dem Gang der
Autoren mit unindividuellem Welterleben im Vorteil gegenüber gewissen Arten von anderen Autoren.
Mit diesen drei Aspekten, der sich in Luhmann und Situationen mit Wolfgang Herrndorf hineinversetzenden Spekulation auf Körper: Konzept Mensch, der Spekulation auf Welt, als mögliche, und auf den Leser und das Erlebnis der Lektüre ist der Text ums Schreiben von Romanen herum entfaltet. Man müsse “es eben probieren, dabei nicht methodisch, sondern experimentell verfahren.”
Was eigentlich kein Gegensatz ist, denn Experimente sind immer und müssen methodisch sein, wenn sie ein überprüfbares Ergebnis haben sollen und Methode, die nicht experimentell ist, wäre Dogma. Oder unbewusst, in Verwechslung mit dem Gegenstand. Ein Dogma wirft Goetz Herrndorf vor, ein falsches Konzept “Mensch” der “Ich-Ideeübersteigerung”. Um von daher für eine Beobachtung “der Realität der Körper der anderen Menschen” zu plädieren, scharf und diskret, und so “etwas Neues in die Literatur zu bringen”. Das letzte Wort ist Ideal, nämlich das Erkenntnisideal, nämlich der Mehrung des Wissens über den Körper.
Und man kann unterstellen, dass auch diesem Projekt von Beobachtung Konzepte zugrunde liegen, deren Bewusstheit die Ergebnisoffenheit nicht einschränkt, sondern durch vom
Diese Verwirrung erinnert an das in der Folge der Erfindung des “Intentional fallacy” – wer einen Text interpretierend sich auf die Intention des Autors beruft ist naiv – entworfene Konzept des impliziten Autors, oder impliziten Lesers. Die beiden sind schwer unterscheidbar, zugleich sozusagen das Textganze, ohne Stimme, aber sprechend durchs “design”, Produkt der Entscheidungen und Summe der eigenen Wahlen, irgendwie die Subjektivität des Textes. Sie ermöglichten wieder eine nicht naive