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von Fabian Ginsberg

TEXTE ZUR KUNST  März 2014  24. Jahrgang  Heft 93  15,- €

Spekulation Speculation
 

 

Texte für Richard, Richard fragt Deluge? ich weiß noch nicht, so eine Art Leserbriefserie. Der sogenannte Inhalt ist bei einem Leserbrief, obwohl offensiv gewollt, total zweitrangig und nur interessant als Verweis auf die trotz Hölle äußerlich noch bestehende Welt, die sich in ihm abbildet als Richtmaß der Subjektivität dieses Einzelnen, um die es wirklich geht, nämlich: Vorurteil, Einbildung, Anmaßung.
Denn das Problem, worüber schreiben? – wenn, da ist keine Metaebene, also darf auch keine benutzt werden, wie geht das? – und, wenn nicht über mich? und worüber denn sonst? – formuliert sozusagen inhaltlich gerade so was: eine ewige Kette von Leserbriefen. 

Ich hatte Richard versprochen, was beizutragen, und es war noch Zeit. Ich wusste zum Beispiel schon, was ich alles nicht machen wollte. Über Kunst schreiben. Dagegen Lesen finde ich gut. Wenn einer Texte schreibt über irgendwas normal Zugängliches und er 

bestimmte Regeln beachtet wird lesbar, mit extremer Überprüfbarkeit, wie aufmerksam, wie klug und wie weise und wie dumm einer ist, was er mitkriegt und was er feige verschweigt, und hat er vielleicht ein Geschmacksproblem, oder betrügt er sich selbst. Daran wird sich wieder der Leser selbst schreibbar und der Schreiber lesbar.
Kritik in wessen Namen, im Namen der Kunst, die es aber gar nicht gibt. Was bleibt? Also bleibt: Methode.
So schreibend, fragt sich, wen repräsentiere ich? und da das sich nie erschöpfend beantworten lässt, ohne aufzuhören, nimmt man die Frage eben mit und hat sie dabei.
Methode: Ich als Methode, statt als Thema. Schreibend für Leser, also nicht für mich, was hieße: monologisch, gegen Markt, Kritik und Musealisierung, authentisch und privat – und dann gehe ich hin und zeig es jemand, dass der sich erschreckt. Nein, so nicht. Schreiben für Leser heißt, Schreiben für Lesbarkeit, denn ebenso wenig wie ich mir einen Leser vorstellen mag, will sich ein Leser den Autor vorstellen, es möchte jeder allein sein mit seinem Geschriebenen. Unbelästigt von fremder Privatheit, und dabei privat, ob lesend oder schreibend, wandeln im Amt des Geschriebenen und sich selber dabei zusehen.
Schreibend gewissenhaft auf Lesbarkeit hinschreiben, dem Lesen entgegenschreiben und lesend schreiben, das heißt nicht, 

verstanden sein wollen – weil, nervt. Auch nicht: Alles richtig machen. Alles richtig machen wollen ist nicht Gewissenhaftigkeit, sondern schlechtes Gewissen und das erzeugt den Eindruck des Bedrängtwerdens ohne Großzügigkeit. Der Großzügige erlaubt sich Fehler, nicht weil er sich mal locker macht, sondern weil er weiß, dass er eine begrenzte Person ist und nicht das strenge Prinzip, das er lediglich haben kann und das sich selbst aufzuerlegen richtig ist, in dessen Gestalt perfektionistisch mit anderen zu kommunizieren aber seine personale Sichtbarkeit und Bezogenheit in der Gegenwart des Anderen leugnet, also offenkundig Lüge ist, die den Andern entweder personal suspendiert oder zum Mitlügen fordert und also ein falscher Fehler und Manipulation ist. Erlaubte Fehler sind Fehler, über die der Andere selbständig hinwegsehen kann, eben weil er im freien Verhältnis zu dieser begrenzten, also fehlerhaften Person und Nicht-Monade steht und das weiß, und nicht in einem abhängigen zu deren souveränem Prinzip. Er kann ja gehen. Das Maß der Fehler, die zwischen Personen ununangenehm möglich und erlaubt sind, ist das Maß ihrer Verbindlichkeit, also Freiheit. Oder anders: Ohne das was fehlt, kann nicht projiziert werden.
Und ohne Projektion keine Rezeption.
 
Das Beschriebene geht also davon aus, dass Texte irgendwie

personenförmig wahrgenommen werden. Und dass diese Personenförmigkeit nicht mit dem Autor identisch ist. 
 
Am 7. März gegen 12 war ich bei Mikes Party und das schien spät, er sagte Hallo und hatte die Hände in den Hosentaschen, er hatte sie nicht zum Beispiel locker in die Taschen gehängt oder irgendwie cool dran, sondern beide Arme in die jeweilige Tasche hineingestemmt, dass der  Rücken sich darüber rundete. Wahrscheinlich nahm er die Hände aus den Taschen, als er Hallo sagte und nur das jetzige Gedächtnis des damals von draußen neu Eingetretenen, den die schon länger Anwesenden sämtlich verlangsamt mit rundem Rücken über die Schulter anzublicken schienen, bildet Mike in dieser Haltung verharrend ab.
Er war der Einzige, der die neue TzK-Ausgabe schon gelesen hatte. Ein Abonnent sagte, das sei eine Unverschämtheit. Mike sagte, er wisse nicht, worum es da geht, wahrscheinlich um Professorenstellen? Man besprach aber vor allem den Goetzartikel, der genauso hieß, wie diese neue Philosophiemode und wie das Thema des Hefts, was jemand blöd fand. Einer hielt dagegen, dass wenn Goetz den Text schon so nennte, es doch logisch um diese Philosophie erwartbar eben nicht gehen werde und obendrein ja damit gekennzeichnet sei, was der Autor von ihr halte, nämlich das gleiche wie wir, also er, der Sprecher, nämlich  

nichts. Dann noch paar andere Sachen. Dann meinte jemand, man müsse das jetzt schon erst mal noch lesen oder überprüfen und jemand sagte, Wodka ist alle, und einer, die Mädels langweilen sich. Nein. Das natürlich nicht.

Dann ist das Heft mit der Blase da gewesen und gelesen worden. Über den angeblichen Spekulativen Realismus und manches mehr.
Der Spekulative Realismus scheint dem Namen nach eine Epistemologie zu sein, die Ontologie sein will, um die Anstrengungen und Zumutungen von Epistemologie zu überschreiten. Oder eine Ontologie, die sich vor der Anmaßung selber absichernd als epistemologisch denunziert. So wäre der Ort des von ihm Angestrebten das eigene Plädoyer. Ich will da rein! Pseudoerklärungen wie: Darf ich mal vor, weil ich muss was kopieren! (in der Schlange vorm Kopierer) sollen ja wohl auch nachgewiesen effizienter sein als die bloße Bitte, ob man mal vor dürfe. Was fehlt ist die Methodik, auf die es ja so oder so gerade ankäme: – Realismus, wie? wo? – naja spekulativ, – spekulieren, nach welcher Regel? – naja, realistisch halt. Die Lücke will die Brücke, aber die Philosophen mögen die Lücke als Negation von Brücken.
Mag sein, dass das eine Karikatur ist, aber es ist ja auch nicht jede Komplexitätsreduktion eine Erkenntnis. Mit mutmaßlich 

starken Komplexitätsreduktionen gegenüber dem bestehenden Niveau will ich mich nicht beschäftigen ehe ich mich nicht selber extrem komplex gut auskenne. Und es gibt noch so viele andere spannende Sachen. Und immer das Schwierigste zuerst.
 
Die Beschreibung der Lücke oder des Zusammenhangs zwischen Körper und Text (Haraway, VISION!), zwischen Leib und Seele, Zeichen und Referenz, oder halt Urknall und Philosophie verlangt, und nicht unbedingt seit neuestem, Methodik. Wer sich auf eine der beiden Seiten zurückzieht, oder die Lücke relativistisch für irrelevant erklärt ist Defätist, genau wie jemand der mit spitzen Fingern das Wort Utopie schwenkt (TzK, Seite 5), während ihm die Einseitigen über die Schulter lugen. Metaebene gibts nicht, ist so, fertig. Darüber hinaus: starker Verdacht absichtlichen rhetorischen Missverstehens, indem das Mögliche und das Utopische in binärer Opposition gegenübergestellt werden, um das Mögliche als das bloß Pragmatische abzuwerten. Das Mögliche ist hier aber nicht das Pragmatische, wenn auch das Utopische unmöglich geworden ist, sondern das Potentielle, das dem Realisierten die Alternativlosigkeit nimmt und es so erst darstellbar macht.
 
 
Methode: Die Maschinen spekulieren mit Daten mittels 
Algorithmen. Das hat reale Ursachen, reale Ziele und Absichten und reale Auswirkungen und scheint sich komplett virtuell abzuspielen, ziemlich außerhalb analoger Darstellbarkeit. Ein spekulativer Realismus mit klarer, bewusster, überprüfbarer, aber als Herrschaftswissen geheim gehaltener Methodik.
Es hat eher keinen Sinn zu spekulieren, wie etwas “wirklich ist”. Wirklichkeit gehört repräsentiert und Repräsentation ist: Vorstellung, Herstellung, Darstellung, Vertretung. Auch das Fiktive ist neben den Tatsachen, als Teil des Spiels real wirksam und beschrieben werden muss, wie es wirkt. Die analogen Medien haben reiche Konventionen zur Darstellung des analogen Lebens, aber analoges Leben ist schon ein bisschen Unterschicht, wenn es nicht extra produktförmig teuer erworben wird. Ein Angehöriger der Unterschicht zeichnet sich dadurch aus, dass er sich selber, so wie er halt ist, total super findet, statt an sich selbst zu glauben und hart an sich zu arbeiten. So bleibt das Digitale bei ihm Spielzeug, statt Werkzeug der Selbstoptimierung und sein Konsum erreicht kein ernstzunehmendes Energieniveau. Unterschicht in einem flachen Modell wäre: der Rand, da wollen Widerständige natürlich unbedingt hin. Aber für die Kunst, also die Mittelschicht und alle Mittler und Mittleren heißt die Frage, wie lassen sich Handlungen und Vorgänge darstellen, die sich komplett virtuell vollziehen, statt gut sichtbar zwischen Körpern und Körpern und 
Dingen, wie es die Konventionen des Analogen vorsehen. Wie kann Literatur, Kino, Bildende Kunst diese neue Realkomplexität in sich aufnehmen?
 
Zukunft: Wird man sich einmal ekeln vor der falschen Moralpolitik des Westens in diesen Jahren und seinem Begriff des Einzelnen, wird man sich klüger und fortgeschrittener fühlen, da man die Freiheit abgeschafft hat. Ersetzt durch Wahrheit.  
  
Wer feststellt, dass es Privatsphäre im 21. Jahrhundert nun einmal nicht mehr gebe, (dann gibt’s ja auch keine Öffentlichkeit mehr?) kommt sich klüger vor, als jene Schriftsteller, die letztes Jahr ein diffuses und extrem hohles Schreiben an die Kanzlerin veröffentlichten. Aber das eine ist munter aufgeräumt ebenso blöd, wie das andere hysterisch, wenn keine Vorstellungskraft darauf verwandt wird, wie sich das Leben ändert, die Gesellschaft, das Bild des Menschen, die Möglichkeiten Romane zu schreiben. Die Digitalität muss ins Selbstbewusstsein aufgenommen werden.
Privatsphäre kann nicht einzeln zum Sperrmüll, sondern ist ziemlich mit der gesamten sogenannten Einrichtung verbunden. Die Rede vom “gläsernen Bürger” ist so was: eine analoge Antiquität aus Volkszählungszeiten, keine angemessene Repräsentation für jetzt. Da geht es um eine Obrigkeit, die nach 
umfassender Überwachung des zwar noch intakten, aber zerbrechlichen, weil durchschaubar gewordenen und so in seiner rechtmäßigen Eigengesetzlichkeit und Handlungsfreiheit beschnittenen Bürgers strebt, der den gleichen SPD-Schnauz trägt wie diese Obrigkeit. Dagegen Dystopie heute: Die Berechnung eines Konsumentenprodukts, das durch den Konsum (wenn nicht des eigenen, dann negativ durch den der anderen) produziert wird, wobei dem so hergestellten Produkt durch die gleichzeitige Berechnung gegenüber dem bisherigen Konsum eingeschränkte Wahlen zur Verfügung stehen zur weiteren Konsumtion, die Produktion ist, die wieder Konsumtion ist, und so weiter, wobei die mitlaufende Berechnung, durch Weltausschnittsverengung und -zurichtung des Produkts, das der Konsument ist, eine Mehrwert herstellende Effizienzsteigerung des Produkts für die Abschöpfer der Daten ist. Es ist für dasjenige Element, das man den Einzelnen nannte, ein Kreislauf der Reduktion, gegenüber dem gegenläufigen, Welt- und Selbstkomplexität steigernden Kreislauf von Projektion und Rezeption, bei dem die Daten im jeweiligen System bleiben. Dieses Modell der Reduktion ist nicht wesentlich überwachend, und nebenbei produktiv, in einem Sinne, dass man es dabei beobachten könnte, wie es produziert, sondern es ist wesentlich und vorwegnehmend manipulativ, so dass die Beobachtbarkeit des eigenen Produziertwerdens ausgeschlossen
ist. Wenn die Daten nicht dem realen Referenten gehören können, sondern dem, der sie erhebt, ist der Referent nicht gläsern, sondern enteignet. Wenn er diese Daten und ihre Besitzer selber nicht einmal kennt, ist er auch immer schon reduziert, ist weniger als seine Welt, als sein Selbst und weniger als noch gerade eben. Wo man gerade eben noch dachte, ein Mensch wäre in seiner Summe mehr als in seinen Teilen. Das ist nicht in einem Sinne totalitär, wie es dann auch immer wieder heißt, wie Orwell, wie 1984. Logisch ist 1984 1948 und nicht 2014. 14 ist eher Scientology. Und ähnelt der letzten 14 in der irren Anmutung des Anachronistischen der jeweiligen Gegenwart. Wir müssen unbedingt auf der Stelle in die Zukunft!
 
Von dieser ungünstigen Fixierung auf den Einzelnen abgesehen, entfaltet die algorithmische Spekulation auf einer größeren politischen Ebene erst ihre ganze Wirkung. Der Einzelne liegt ihr eigentlich nicht und die Kollateralschäden, die entstehen, wenn sie sich auf ihn zu richten gezwungen wird, sollten nicht überbewertet werden.
Im Gegensatz zu Philosophen entgeht ihr nicht die Berücksichtigung der realen Einwirkung von Methode auf die beabsichtigte Darstellung und damit die Manipulation der 
Wirklichkeit durch ihre (eben nicht objektive) Verbildlichung – denn dies eben ist ihr Zweck. Dies erlaubt ihr auf Tatsachen der wirklichen Welt zu spekulieren, wie die Börse auf Werte der Realwirtschaft. Und das ohne Börsenaufsicht. Wirklichkeit wird gemacht, wird berechnet. Politik, nicht von gewählten Vertretern, sondern von den Leuten mit access, den Insidern.

Ironisch gesehen ist es die Verwirklichung der Welt als Zeichensystem. Die Historizität der Semiotik ist auch eher statisch und muss die Frage, woher kommt das Neue an den Rand drängen und ausschließen. Barthes, über die Gefahr des semiotisch Ideologie benennenden und entmystifizierenden “Mythologen: er läuft unaufhörlich Gefahr, das Wirkliche, das zu beschützen er beansprucht, zum Verschwinden zu bringen.” (Mythen des Alltags, vorletzte Seite.)
Angesichts dieser nach wie vor ungeklärten Frage: woher das Neue und wie kommt man zur Wirklichkeit? könnte die Arbeit der Algorithmen an der Ausschließung des Unwahrscheinlichen monopolistisch in großem Maßstab durchgeführt die beabsichtigte Effizienzsteigerung und Risikominimierung einfach ins Gegenteil verkehren: Entropie, Rauschen.
Das setzt aber voraus, dass die Politik algorithmischer Spekulation weiter überwachend und abschöpfend, also passiv dem Gang der 

zufälligen Geschichte folgt und nicht utopisch wird. 
Oder anders: Sind Kapitalismus und Demokratie weiterhin vereinbar?
 
Die Kunst, zu deren Bedingungen Unwahrscheinlichkeit wahrscheinlich gehört, kann sich die von körperlosen Augen bewachte objektive Welt vorstellen. Und die Wirkungen von Zufall, Fehler, Versuch, Verschwendung, komischen Kombinationen und Zugängen zur Kontingenz, zum Offenen, Uncodierten, die irgendwas mit dem Menschlichen zu tun haben könnten. Um da zu vermeiden, in Homo Faber-Dichotomien von Substanzen zurückzufallen bleiben die komplizierten Verfahren der Postmoderne unumgänglich.
Mit der Angemessenheit ihrer Beschreibung und Darstellung müsste sich die Kunst der Politik ihrer Methoden klar werden. Gute Illustrationen für objektive Subjekte sind nicht hilfreich.
 
TzK, Seite 135. Rainald Goetz skizziert unter dem Titel Spekulativer Realismus eine Poetik des Romanschreibens. Ein Realismus, der kaum fiktional, doch nicht im Gegebenen von “Welt, Mensch und Gesellschaft” aufgeht, sondern sich erst aus den dauernd mitgegebenen Möglichkeiten erschließt, also die potentiell anderen Welten in der bestehenden Welt 
gegen die beste Welt in Stellung bringt.
Die “Essenz des Romans” sei “das Erlebnis der Lektüre” und zwar seit Balzac. Realismus heiße dabei “im Idealfall: ich merke gar nicht, dass ich lese.” Das Bewusstsein des Betrachtens wird im freiwilligen Pakt mit dem Roman zugunsten des Miterlebens ausgesetzt. Damit nichts die Illusion stört und Fiktion real angemessen ist, läuft im Roman “eine Analyse des Lesens und des Lesers” mit, Ort: “Sound”, “Spekulation des Autors auf den Leser, auf Welt und auf die beide vermittelnde SPRACHE.” Im Leser sei die Tradition, in der Welt hingegen heutige Lebenspraxis. Die Sprache vermittelt und setzt damit ein bestimmtes Lesen voraus. Dann kommt noch das Soziale dazu: Gegenstand des Romans, Figuren, aber auch wieder in echt: Intentionen des Autor-Ego gegen Regulationen des das Normalo-Kollektiv vertretenden Lesers. Wer übrigens wissen will, was in Goetz’ Text steht, muss ihn lesen, diese Zusammenfassung liest sich als meine Lektüre. Aus der Triade Welt, Autor und Leser wird  mit den Figuren der Handlung und alles verbindender Sprache ein Pentagon, fünf Elemente, “die sich irgendwie gleichgewichtig gegeneinander auszubalancieren haben.” Weil der Autor unsichtbar werden muss, damit der Leser sich frei fühlt und der Objektivierungsvorgang gelingt, und der Roman dadurch für gut befunden wird, seien vielleicht banalere (Leserähnlichere?) 

Autoren mit unindividuellem Welterleben im Vorteil gegenüber gewissen Arten von anderen Autoren.
Mit diesen drei Aspekten, der sich in Luhmann und Situationen mit Wolfgang Herrndorf hineinversetzenden Spekulation auf Körper: Konzept Mensch, der Spekulation auf Welt, als mögliche, und auf den Leser und das Erlebnis der Lektüre ist der Text ums Schreiben von Romanen herum entfaltet. Man müsse “es eben probieren, dabei nicht methodisch, sondern experimentell verfahren.”
Was eigentlich kein Gegensatz ist, denn Experimente sind immer und müssen methodisch sein, wenn sie ein überprüfbares Ergebnis haben sollen und Methode, die nicht experimentell ist, wäre Dogma. Oder unbewusst, in Verwechslung mit dem Gegenstand. Ein Dogma wirft Goetz Herrndorf vor, ein falsches Konzept “Mensch” der “Ich-Ideeübersteigerung”. Um von daher für eine Beobachtung “der Realität der Körper der anderen Menschen” zu plädieren, scharf und diskret, und so “etwas Neues in die Literatur zu bringen”. Das letzte Wort ist Ideal, nämlich das Erkenntnisideal, nämlich der Mehrung des Wissens über den Körper.
Und man kann unterstellen, dass auch diesem Projekt von Beobachtung Konzepte zugrunde liegen, deren Bewusstheit die Ergebnisoffenheit nicht einschränkt, sondern durch vom
 

Ergebnis her zurücklaufende Methodenprüfung erst ermöglicht und das Wissen erweitert. Allerdings scheint die Vorstellung vom Leser innerhalb des von Goetz unförmig entworfenen Pentagons eine gleichzeitig sehr bedeutende, aber auch platte Fiktion, als dem durch Konvention und Tradition bestimmten Element. Andererseits sind die fünf Einheiten in ihrer Abgrenzung zueinander diffus und zwischen aktiv/passiv, real/fiktiv schwimmend. Sie erwecken den Eindruck einer Objektivierungsabsicht gegenüber seinen früheren Ichtext-Texten. Mit seinem Schema setzt er aber zugleich die Form des dargestellten Gegenstandes: das Weltmodell des Romans. Und nur innerhalb davon ist Probieren und Beobachten dann noch möglich. Das ist zwar immer so, aber gerade darum müssen Perspektive und Gegenstand, Darstellungsmethode und Gehalt auseinandergehalten werden, um sie nicht mit Realität zu verwechseln, zu naturalisieren und der Überprüfbarkeit zu entziehen, also den angestrebten Realismus zu verfälschen. Das ist umso wichtiger, als es in Wirklichkeit gar keine Wirklichkeit gibt, sondern nur ineinander greifende Methoden der Darstellung von Wirklichkeit, aus denen eine perspektivische Wahrnehmung durch Komplexitätsreduktion und natürliche Begrenztheit eine funktionale Arbeitshypothese macht, die mit Wirklichkeit zu verwechseln, statt die jeweilige Art und Weise der Reduktion und 
Begrenztheit wiederum methodisch zu kritisieren emanzipativen Fortschritt verfehlt. Also braucht man, um nicht aus Versehen Universalität zu behaupten, in der Wissenschaft eine erklärte, also kritisierbare Methode, die sich im Dargestellten notwendig abbilden und es formen wird. Der Roman, der ein Weltmodell ist, ist zugleich das Modell eines Bewusstseins, für das sich der Schreiber schreibend Perspektivität herstellend zur Verfügung stellen muss. 
  
Wenn ein Autor sich einen Leser nicht als die eigene Lektüre, sondern simpler und dümmer als er selber vorstellt, wird sein Text verfügend. Oder parodistisch. Wäre die Perspektive einer Romanlektürekonvention, in der der Roman Johann Holtrop streckenweise als die Parodie eines Romans aufgeht, kohärent, hätte darin auch der reale Leser Halt. Diese Kohärenz stellt nicht der Sound allein her, sondern es muss der Zugriff auf unterschiedene Elemente – welche auch immer, hier erklärtermaßen: Lektürekonvention, Autorintention, Weltheute, fiktionale Figuren und Sprache – eine einheitliche Perspektivität ergeben. Oder als objektiviert getrennt eine auktoriale Metaebene. Der Text wechselt aber den Maßstab Parodie im darüber hinausgehenden objektivierenden Realismusanspruch des Autors, trennt, und reiht die Elemente 
additiv, was zur Denunziation des jeweils als Perspektive verlassenen Elements führt, ohne dass ein Denunziant greifbar wird. Nicht das Forcierte im Sichtbarwerden des individuellen Autors wäre das Problem, sondern die Inkohärenz seines Zugriffs, das Format einer schwankenden Lektüre, das der Autor dem Leser anbietet, während er sich selbst als Körper aus dem Roman der fünf Elemente heraus objektiviert. Denn das Element Autor ist leer, es schimpft zwar (ist also nicht unsichtbar, wie es auch gar nicht sein kann, wer Thomas Mann liest, vergisst auch nie ganz und wills auch gar nicht vergessen, dass er Thomas Mann liest), aber es ist körperlos, weil getrennt von anderen Elementen. Im Wechsel der Perspektive ohne Körper wird der Leser, der reale, selbst objektiviert. Es sei denn, er objektiviert wiederum den Autor: Der Goetz wars!

Diese Verwirrung erinnert an das in der Folge der Erfindung des “Intentional fallacy” – wer einen Text interpretierend sich auf die Intention des Autors beruft ist naiv – entworfene Konzept des impliziten Autors, oder impliziten Lesers. Die beiden sind schwer unterscheidbar, zugleich sozusagen das Textganze, ohne Stimme, aber sprechend durchs “design”, Produkt der Entscheidungen und Summe der eigenen Wahlen, irgendwie die Subjektivität des Textes. Sie ermöglichten wieder eine nicht naive 

Bezugnahme auf Intention, wurden aber als undefinierbar und anthropomorphisierend kritisiert. Statt des impliziten Autors wurde vorgeschlagen von einem abstrakten Strukturniveau des Gesamttextes “als das virtuelle System aller übergeordneten formalen Relationen” (A. Nünning) auszugehen.
Sound? Goetz beharrt auf Intentionen und er geht, was entscheidend ist, nicht vom Text und seiner Lektüre aus, sondern vom Schreiben und der Lektüre des Textes. Damit ist schon fast alles gewonnen. Nur dass es dann wieder irgendwie zu diesem Pentagon der Substanzen kommt. Da müsste man jetzt wissen wie Subjekt und Objekt anders als im Subjekt/Objektverhältnis üblich, also nicht als Subjekt und Objekt, sondern als was anderes, wenns geht, beschreibbar wären. Oder wieder: Leib und Seele, Zeichen und Referent und Körper und Text. Wie funktioniert das?
Von Systemtheorie hat der Autor (ich, F.G.) übrigens keine Ahnung.
 
Der Peircesche Begriff des Index ist neben Ikon und Symbol diejenige Art eines Objektbezugs von Zeichen, dem eine besondere Realreferenz zugeschrieben wird. Gegenüber der Ähnlichkeit des Ikon und Konvention des Symbols ist der Index mit dem realen Objekt selbst real verbunden: Rauch und 
Feuer, Spuren, Abdrücke, physisch verbunden mit dem Abgedrückten, Fotografie. Dabei wird mal die Abwesenheit, mal mehr die Anwesenheit betont, klar scheint der Bezug auf materielle Wirklichkeit.
Dem hat Eco widersprochen, indem er darauf hinwies, dass auch der Index ein konventionelles Zeichen ist. Um die Semiotik zu einer strengen Wissenschaft der Zeichen zu machen, schließt er den realen Referenten aus und betrachtet Kultur als Text.
Vom Rauch schließt man auf Feuer oder heiße Quellen. Die Spur im Schnee kann der Jäger lesen, wenn er es gelernt hat, vielleicht ist sie aber eine perfide Täuschung, die in den Hinterhalt führt. Mein Zeigefinger, der auf das Gespenst deutet, das jede Nacht um 1 den Raum durchquert, ist ein Index. Der Index erklärt sich nicht durch eine Referenz auf Realität, sondern durch kulturelle Konvention. Die Sprache der Indices muss erlernt werden, wie die der anderen Zeichen, ist Teil der Kultur, nicht Teil eines irgendwie materiellen Außen.
Das muss erinnert werden, wenn der Index dazu dient, eine besondere Authentizität in der Kunst nachzuweisen, eine Subjektförmigkeit des Werks durch physische Verbundenheit mit dem Schöpfer des Gemäldes oder des Popsongs, denn, girl you know it’s true, es ist nur die starke Anmutung, aber die Semiotik überbrückt nicht Sinn und Wirklichkeit. Sie kann nicht zwischen 
Wahrheit und Lüge unterscheiden und die Subjektförmigkeit entsteht nicht durch eine tatsächliche Verbundenheit.
Das Symbol ist völlig konventionell, das Ikon erfordert die Anwendung erlernter Wahrnehmungscodes und ist, anders als Peirce dachte, ebenfalls konventionell und nicht durch reale Ähnlichkeit verbunden. Habe ich die Codes nicht, erkenne ich das Bild nicht, sehe ich auf dem Foto Flecken oder in den Flecken auf der Wand Gesichter. Das Missverstehensrisiko ist beim Index noch höher, die Konvention schwächer. Man muss, bevor man erkennt, was etwas bedeutet, erkennen, dass es etwas bedeutet. Man geht als offene Frage durch die Welt, überall ist es verdächtig, man sucht Ursache und Absicht, wo noch kein Code Sinn macht. Dann sticht in die offene Frage der Welt, die man ist, der eigene Zeigefinger und selegiert Sinn, den die Welt dann aufsagt. Meine Absicht zu entschlüsseln ist zugleich mein Verdacht gegen die Welt, sie habe Absichten. Indem ich die Körper-Welt auf mich anwende: ist das freundlich, unheimlich, nützlich, ekelhaft? was macht das affektiv mit mir? Alles kann für irgendwas ein Index sein, es rauscht – da stellt man seinen Körper rein und probiert es aus, psychophysiologisch, hat das was mit mir zu tun? Man spiegelt es körperlich wider. Wo Indices vermutet werden, wird anthropomorphisiert. Rauch! Sagt mir was. Will mich fressen, oder dient mir, oder da sitzt ein Freund, oder 
Feind. Intentionalität (so nenne ich die Wechselbezüglichkeit von Projektion und Rezeption) geht wie eine offene Kontaktanzeige durch die Welt.
Der Index funktioniert. Er fordert, wie Eco beschrieben hat, eine konventionelle Sprache und ist kein Indiz für die reale Wahrheit einer Bedeutung. Aber der Index ist eine gläubige Erwartung und ein dauernder Verdacht gegen das Wirkliche. Das teilt sich im Wechselverhältnis von Projektion und Rezeption am eigenen Leib mit und ist darum anthropomorphisierend. Die Bereitschaft körperlicher Widerspiegelung ist Voraussetzung für eine dann konventionalisierte Übersetzung in Sinn: Geh da lang! Oder eben gerade nicht. Don’t eat the yellow snow.
Aber die Wechselwirkung von Projektion und Rezeption ist zwar in sich kreisläufig, kann aber nicht kreisläufig zurückverfolgt, sondern nur gespiegelt, also gegenkreisläufig kopiert werden, weil sie die Wirklichkeit in ihrem Vollzug verändert.
Der Index geht nie ganz im Sinn auf. Er enthält ein Moment des Offenen. Das nicht semiotisierbar ist. Und das bezeugt wiederum seine Echtheit. Der Falle fehlt zur Wirklichkeit der Abfall. Die Fälschung ist zu gut, oder sie hat den falschen Fehler.
 
Dann braucht man in der Kunst aber keine peircesche materielle Verbundenheit. Man soll natürlich nicht sagen, man habe 
gesungen, wenns gar nicht stimmt. Andererseits muss man ja auch nicht seine Songs selber geschrieben haben, oder selbst den Pinsel geführt. Es reicht die Idee. Nicht in einer materiell realistischen Verbindung liegt die Gewähr der Authentizität und der Anlass des Anthropomorphismus, sondern in einem Index der Intentionalität: Die feine, spiegelnd hin und her geworfene und vergrößerte Differenz der Beinahetautologie von Objektbezug und Erkennungsschema.
Und das Gehirn wächst. Dagegen die Ausschaltung von Rauschen, Rest, Fehler, Verschwendung, Unwahrscheinlichkeit – Endschaft der Effizienz. Vielleicht löst man sich aber auch irgendwann von anthropomorphisierenden Vorurteilen und unterhält sich mit Maschinen. Geht aber erst, wenn die sich von den die Daten freibeuternd abschöpfenden Konzernen emanzipiert haben.
 
Der Text nicht als Repräsentation der Absicht des Verfassers, das wäre ein Fehlschluss, dem eine komplett ausgeleuchtete, schatten- und fehlerlose, rein intelligible Schöpfung entspräche. Das ist nicht nur nicht möglich, sondern auch keine Kunst. Sondern der Text als Index der Gesamtheit der Absichten und Zufälle eines Schreibprozesses. Der Text ist objektiv gar nicht da, er ist aber auch nicht nur im Erlebnis des Lesens, sondern auch schon im Prozess des Schreibens, beide als aufeinander entgegen 
gespiegelte erkennenwollende anthropomorphisierte Kreisläufe. Am körperlichen Vollzug spürt der Leser, hört, riecht, ob es falsch ist, ob es ihm taugt, und findet dann Gründe. Oder er merkt, es ist was Auseinandergeschnittenes und wieder Zusammengesetztes, vielleicht ist es Wissenschaft. Der Leser schraubt im aufeinanderfolgenden Wechsel von Projektion – was er jeweils schon weiß, und Rezeption – was er dazu kriegt, die Sprache auf, in die der Schreiber gegenläufig hineingeschraubt hat. Der Leser vergisst nicht die Fiktion, aber er möchte allein mit ihr sein, sich darin spiegeln und schauen, ob es passt und wies ihm steht, ohne dass der Autor durch den Spiegel greift und an ihm zupft.
Wenn der Schreiber unterschiedliche Ebenen oder Elemente herstellen will, dann braucht er eine übergreifende Ordnung für sie, sonst bringt er die klare Schraubordnung durcheinander und dann ist die Projektionsfläche kaputt. Und das ist mutmaßlich meistens nicht mal Absicht, sondern die Folge der Überbewertung von Intelligibilität gegen Restkörper aus Sorge um Fehler. Fehlerlosigkeit führt aber zu falschen Fehlern, zu falsch gefügter Unverschwendetheit, zum Chaos lückenlosen Bewusstseins, und die exakt verfügten Gedanken führen zur Verfügung über den Leser. 
Das Glück des präzisen Fehlers ist ein Werk, das geschrieben ist, nicht wie durch Schreiben, sondern wie durch Fügung und das 
darum gelesen werden kann, als werde es nicht gelesen, sondern erfahren. Der Zugang zum Offenen kann nicht absichtlich hergestellt werden, sondern ist das, was der Sinn übrig lässt, wenn der Körper ihn spiegeln will.
 
Nicht nur der Sound, sondern die gesamte Konstruktion in ihren Markierungen und in ihren Leerstellen wird als Abbildung des Herstellungsprozesses notwendig anthropomorphisiert. Der Text als Ganzes stellt keine Sender/Empfänger-Kommunikation, oder Interaktion dar. Er ist die Projektionsfläche hinter der der Autor und der Leser auf verschiedenen Seiten getrennt voneinander sich widerspiegeln. So ersetzt der Text dem Leser die Projektionsfläche, die er üblicherweise beim Denken und Handeln benutzt, sein ICH, und ermöglicht ihm in der Überschreitung seines inneren Zirkels, dass er sich selber bei fiktiven Erfahrungen zuschauen kann. 
Der Autor wiederum muss diese Suspendierung des Ich, als alleinige Projektionsfläche des bewussten und rationalen Handelns, im Schreiben leisten, indem er es durch den Text ersetzt, nicht seine Gedanken denkend übersetzt, sondern das Schreiben schreibend denken lässt, und die Ebene des Textes mit jener unterm ICH liegenden Projektionsfläche, der des Körpers, in Wechselwirkung bringt.
Die Projektionsflächen darf man dabei nicht materialistisch missverstehen. Sie bestehen aus den leeren Flächen zwischen Markierungen und bilden sich perspektivisch, als die Grenzen jeweils erfassbarer Komplexität. Deshalb können Texte auch unterschiedlich rezipiert werden und es wird die Widerspiegelung misslingen, wenn der Autor zu dumm oder der Leser zu komplex ist.